Krise, das andere Gesicht der Dauer: Hannelore Elsner und Karl Kranzowski in "Frau fährt, Mann schläft" von Rudolf Thome

Foto: Viennale

Im deutschen Kino der Gegenwart, daszwischen Großspurigkeit und Askese schwankt, ist Rudolf Thome eine rare Ausnahme. Heuer stellt er auf der Viennale Frau fährt, Mann schläft vor.

Die Familie Süßmilch-Bogenhauser kennt keinen Generationenkonflikt. Beim Frühstück sitzen alle genauso einhellig beisammen wie in der Talkshow von Harald Flickschuster, wo sie als "die glücklichste Familie Deutschlands" eingeladen sind. Der vier adoleszenten Kinder wegen ziehen die Süßmilch-Bogenhausers noch einmal um – von der Villa im Grünen in die Dachwohnung am Potsdamer Platz, im Zentrum Berlins.

Rudolf Thomes neuem Film Frau fährt, Mann schläft ist allerdings an der Zeit mehr gelegen als an Orten. Ein Goethe'sches Interesse an der Dauer im Wechsel bestimmt diese Geschichte, in deren Mittelpunkt wie schon in Rot und Blau, der letztes Jahr auf der Viennale lief, die Schauspielerin Hannelore Elsner steht. Sie spielt die Zahnärztin Sue Süßmilch, die Mutter der vier Kinder, die Ehefrau, die zum ersten Mal in ihrem Leben einen anderen Mann liebt, seit sie vor vielen Jahren den Philosophen Anton Bogenbauer geheiratet hat. Aber Sven Hedin (Hanns Zischler) muss nach Lateinamerika, wo er Forschungen betreibt.

Bürgertum ...

Die blumigen Namen, mit denen Rudolf Thome seine Figuren versieht, sind wohl Programm. Das Milieu, dessen Langzeitbeobachtung sich der Berliner Filmemacher verschrieben hat, ist schon vor einiger Zeit in ein Stadium der Klassizität eingetreten. Der akademische Beruf, das türkische Hausmädchen, die sieben Tageszeitungen am Morgen, die getrennten Betten, die braven Kinder, der gepflegte Seitensprung: Es herrscht ein großes Kontinuum, von dem selbst die Pubertät und der Liebeskummer der Kinder geprägt sind.

Nur Thomas, der älteste Sohn, hat an der Abfolge der Werke und Tage keine Freude. Er hat einen Kopfschmerz, der gefährlicher ist, als sein Vater anfangs glauben möchte. Thome begreift Krise jedoch vor allem als das andere Gesicht der Dauer. Jenseits des fünfzigsten Geburtstags kann man entweder noch einmal alles über den Haufen werfen und den wilden Mann oder die wilde Frau geben, oder man kann sich auf die Suche nach einer olympischen Perspektive machen.

Rudolf Thome findet sie natürlich nicht (das wäre sicher schlechtes Kino), aber er deutet doch einige Modelle der Selbsterschließung an. Die philiströsen Vorlesungen des Professor Bogenbauer zählen da weniger dazu als die Versuche einer naturwissenschaftlichen Wesensschau (es gibt zwei Computertomografien in diesem Film).

Als die Viennale 1997 ein Special über Filme aus der BRD aus den Jahren 1964–76 zusammenstellte, lief auch ein Kurzfilm von Rudolf Thome aus dem Jahr 1966: In Stella ging er von dem Goethe-Stück aus und machte daraus ein kleines Experiment über die offene Zweierbeziehung. Thomes Geschichte danach, der Erfolg mit Detektive und Rote Sonne, ist gut bekannt, auch die Westberliner Klassiker wie Berlin Chamissoplatz.

Die Viennale hat Thome im Jahr 2000 mit Paradiso – Sieben Tage mit sieben Frauen mehr oder weniger wiederentdeckt und verfolgt seither sein häufig mit den Filmen von Rohmer verglichenes Lebenswerk, zu dem auch ein Internettagebuch ( www.moana.de) gehört. Im deutschen Kino der Gegenwart, das zwischen Großspurigkeit und Askese schwankt, ist Thome eine rare Ausnahme, weil er kontinuierlich produziert und seine Idiosynkrasien selten esoterisch werden.

... nach der Krise

Frau fährt, Mann schläft ist der mittlere von insgesamt drei geplanten Filmen mit Hannelore Elsner. Sie ist ein Star, der sich bei Thome ganz intim geben darf. Hier lernt sie allmählich, wieder "ich" zu sagen. Sie tut es, nach leidvollen Erfahrungen, laut und deutlich und mit einem Nervenzusammenbruch.

Der Erfahrung von bürgerlicher Zeit tut dies keinen Abbruch. Nach der Krise sammelt man sich, fährt nach Italien, trifft eine Entscheidung – so ist das Leben, für das Sven Hedin das Bild vom Ameisenhaufen bemüht: Von oben besehen ist das ganze Gewimmel doch sehr in Ordnung.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.10.2004)