Vor etwa einem Monat hat der ORF-Radiosender Ö3 die "Jagdsaison" ausgerufen. Und sie läuft immer noch, trotz der vielen Proteste, die diese Werbeaktion ausgelöst hat. Auf einem Plakat mit der Aufschrift "Jagdsaison" sind zwei Mädchen zu sehen, die sich schminken. Sehr junge Mädchen, die kaum älter als zwölf sind (beim ORF kennt man ihr Alter angeblich nicht). Das Plakat korrespondiert mit einem zweiten, das zwei Burschen mit dem Wort "Jungwild" darunter zeigt. Via Ö3 findet man sich, soll die Botschaft wohl lauten.

Beide Plakate hängen allerdings selten nebeneinander (wobei das niedrige Alter der Mädchen auch in diesem Fall höchst fragwürdig ist). Wer die beiden ganz jungen Mädchen allein im Konnex mit dem Wort Jagdsaison sieht, denkt weniger an Partnersuche zwischen mündigen Menschen, sondern an etwas ganz anderes, keineswegs Harmloses. Ö3-Chef Georg Spatt meinte dazu auf erste Kritik vor Wochen in der Presse, er finde die damit verbundene Unterstellung "erschreckend. Man sieht halt manchmal das, was man sehen will".

Abgesehen davon, dass Spatt damit seinerseits den Kritikern perverse Neigungen unterstellte: Tatsächlich erschreckend ist die Ignoranz, die aus einer solchen Reaktion spricht. Ist das Thema Kindesmissbrauch und der Kampf dagegen am Informationsmedium ORF vorbeigegangen? Oder werden auf der Jagd nach Reichweite und Einschaltquoten einfach ganz cool die letzten Schamgrenzen überschritten?

Wenn Spatt jetzt Bedauern äußert, falls es zu "Missverständnissen" in der Interpretation des Plakats gekommen sei, kommt diese Einsicht spät. Zu spät, um glaubwürdig zu sein. Zu spät, um der Verantwortung eines großteils gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Senders gerecht zu werden. (Josef Kirchengast/DER STANDARD; Printausgabe, 3.11.2004)