Foto: Edel
Wien - "On Jesus' programm/ I can not sleep. On Jesus' programm/the holy spirit will creep. I know he'll take me/ shake me and make me what I ought to be. I'm working on the program every day. When this life is all over/I'm going home."

Im Halbdunkel arbeitete sich hier Mark Lanegan durch den Erlösungsgospel On Jesus' Program. Von reduzierten, roh aus den Saiten gerissenen Gitarrenriffs und einem holprigen Dreivierteltakt begleitet, geriet dieser Song zu einem schaurigen Höhepunkt.

Denn als Lanegan stimmlich dort angekommen war, wo man dachte, jetzt geht's nicht mehr, jetzt reißen dem Mann gleich die Stimmbänder, jetzt bricht der Ton, dort, im Herzen der Finsternis, hob er noch einmal an, durchbrach mit seiner unglaublichen Stimme das Dunkel und erleuchtete - endlich angekommen - diesen von menschlicher Hoffnung erschaffenen Ort des Jenseits.

Zugegeben: Das liest sich vielleicht etwas George-W.-mäßig betrunken wiedergeboren. Aber wer am Samstag im Wiener Flex Zeuge dieser Interpretation war und nicht gerade an der Bar Nachschlag ausfasste oder sein Herz zu Hause vergessen hatte, musste von Lanegans Vortrag einfach ergriffen sein.

Im Original stammt der Song von O.V. Wright, einem lange verstorben Southern-Soul-Gott. Aus der Zeit, be- vor Wright sich weltlichem Rhythm 'n' Blues zuwandte und er mit der Gospeltruppe Sunset Travelers durch den amerikanischen Süden zog. Es ist eine fiebrig-vibrierende Ballade, vorgetragen in einer Art, die den Gedanken, ein knochig-dürres Weißbrot könnte sich an diesem Stück versuchen, kaum zulässt. Doch Mark Lanegan kam, sang und siegte.

Noch während er Sänger der Grunge-Wegbereiter Screaming Trees war, begann der aus Ellensburg, in der Nähe von Seattle im Bundesstaat Washington stammende Rotschopf Soloalben zu veröffentlichen, die wenig mit dem psychedelischen Rocksound seiner nach einem Effektpedal benannten Stammband zu tun hatten. Lanegan interpretierte alte Folksongs, Country, Gospel und Existenzialisten-Blues, bei denen ihm ähnlich schattseitig orientierte Geister wie Kurt Cobain und Kris Novoselic von Nirvana oder Mike Johnson von Dinosaur jr. zur Hand gingen.

1995 erschien das letzte Screaming-Trees-Album Dust, wahrscheinlich eines der besten Rockalben seiner Zeit. Seit damals ist Lanegan solo unterwegs oder trat als Gastsänger bei Bands wie Earthlings?, Masters Of Reality, den Twilight Singers oder bei Queens Of The Stone Age auf.

Der weltweite Erfolg Letztgenannter brachte Lanegans Werk nicht nur zu erhöhte Aufmerksamkeit ein. Der harte Rocksound findet sich modifiziert auch auf dem aktuellen Album Bubblegum wieder. Etwa in dem Song Metamphetamine Blues. Einem live heftig stampfenden und mit schweren Riffs von der Bühne gewuchteten Stück.

Lanegans Auftritt definierte sich über die Chronologie seiner Songs. Bühnenshow war nicht. Schwaches grünes und blaues Licht in seinem Rücken gaben kaum mehr als eine rauchende, einen Bubikopf tragende Silhouette zu erkennen, die ihre Hüften zur Musik wiegte, während der Mikroständer in "Präsentiert-das-Gewehr-Haltung" in Beschlag genommen war.

In dieser Düsternis erblühten Nachtschattengewächse wie When Your Number Isn't Up oder Like Little Willie John, die Langean als begnadeten Soulsänger auswiesen. Es krachten depressive Rocker wie Hit The City, in dem die Backgroundsängerin ihr dünnes Stimmchen erhob und schaurig bewies, dass ihre Qualitäten anderer Art sein müssen.

School of Rock

Neben Lanegans Aktueller stand ein Gitarrist, der in seinem steifen Habitus wirkte wie ein ewiger Sitzenbleiber in der School of Rock. Und doch begleitete er seinen Brötchengeber kongenial, sei es durch Bobby "Blue" Blands Ballade I'll Take Care Of You oder den Hochgeschwindigkeitsausbruch Sideways In Revenge.

Abgesehen von dem lieblos gestalteten Zugabenblock und einem kleinen Hänger zur Mitte bot der 40-Jährige ein fantastisches Konzert. Eine gute Stunde, in der sich die Intensivität seiner Alben live durch das Unterstreichen seiner Stimme, einem Organ, das Tom Waits als tirilierenden Chorknaben erscheinen lässt, beständig steigerte. Damit festigte er seinen Sonderstatus. In seinem Fach kann niemand Lanegan das Wasser reichen. Selbst O.V. Wright müsste dem zustimmen. (Karl Fluch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 11. 2004)