Wien - Der Verfassungsgerichtshof hat am Dienstag das schriftliche Erkenntnis zur Teil-Aufhebung des Asylgesetzes zugestellt. Dass die bereits Mitte Oktober gekippten Passagen vom Innenministerium immer noch angewandt werden, sorgt indessen für massive Kritik der Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai). So waren Anfang November drei tschetschenische Flüchtlinge abgeschoben worden, obwohl ihre Berufungsfrist noch nicht abgelaufen war. Der VfGH hatte diese Praxis als verfassungswidrig erkannt.

Die tschetschenischen Flüchtlinge - zwei allein stehende Frauen und ein Kind - waren in der Nacht vom 4. auf den 5. November nach Polen gebracht worden. "Weder war ihr Asylverfahren abgeschlossen, noch wurden Anhaltspunkte für die Gefahr, aus Polen weiter abgeschoben zu werden, geprüft", kritisierte Patzelt in einer Aussendung am Dienstag.

Noch nicht erfolgte Kundmachung

Der VfGH hatte Ausweisungen vor Ablauf der Berufungsfrist am 15. Oktober als verfassungswidrig erkannt, da ein Berufungsverfahren aus dem Ausland kaum möglich sei. Dass diese Passage trotzdem noch angewandt wird, begründet die Sicherheitsdirektion Oberösterreich mit der noch nicht erfolgten Kundmachung des Urteils der Verfassungsrichter.

Anmesty international kann dies nicht nachvollziehen: "Es sollte gerade im Innenministerium bekannt und klar sein, dass verfassungsgerichtliche Erkenntnisse ab ihrer mündlichen Verkündung sofort und ohne wenn und aber umzusetzen sind", ärgert sich Patzelt: "Der Spruch des VfGH ist unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen. Seit 15. Oktober besteht die Verpflichtung dazu. Mit jeder Verzögerung machen sich Bundeskanzleramt und Innenministerium weiterer Verletzungen von Menschenrechten schuldigt."

Ebenfalls aufgehoben wurde vom VfGH das im Asylgesetz vorgesehene "Neuerungsverbot", das neue Beweismittel im Berufungsverfahren nur dann zulässt, wenn der Flüchtling "aufgrund einer medizinisch belegbaren Traumatisierung" nicht in der Lage war, diese bereits in erster Instanz vorzubringen. Die dritte vom VfGH gekippte Passage bezieht sich auf die Bestimmung, wonach das Stellen eines erneuten Asylantrags nach rechtskräftiger Abweisung zur Verhängung von Schubhaft führt.

Einen Entwurf für die Reparatur des Gesetzes hat Innenminister Ernst Strasser (V) für Ende November angekündigt.

Innenministerium weist Amnesty-Kritik zurück

Das Innenministerium weist die Kritik von amnesty international zurück. Die Menschenrechtsorganisation hatte kritisiert, dass vom VfGH aufgehobene Teile des Asylgesetzes nach wie vor vollzogen werden. In einer Aussendung vom Dienstag beharrt das Innenministerium auf der Ansicht, dass ein VfGH-Erkenntnis erst ab dessen offizieller Kundmachung umgesetzt werden könne: "Eine mündliche Verkündung ist für eine Kundmachung noch nicht ausreichend."

Dennoch habe das Bundesasylamt bereits auf die mündliche Verkündung des Erkenntnisses durch den VfGH reagiert, heißt es in der Aussendung. Gerade bei der Überstellung von "Dublin-Fällen" in andere EU-Mitgliedsstaaten seien wie vom VfGH verlangt konkrete Einzelfallprüfungen durchzuführen. Obwohl noch keine Kundmachung im Bundesgesetzblatt erfolgt sei, habe man in Hinblick auf die nunmehr erfolgte Zustellung des VfGH-Erkenntnisses verfügt, die Erlassung von Dublin-Bescheiden auszusetzen.

(APA)