Graz – Dass die Politik der ÖVP in den letzten Jahren eine neoliberale Schlagseite bekommen habe, entspreche nicht ganz seiner Wahrnehmung.

Wenn dies allerdings die Wahrnehmung der Wähler sei, "ist irgendetwas gescheitert. Wir sind eine christlich- soziale Partei mit einem liberalen Kern. Die Vermittlung dieses Grundsatzes ist uns dann offenbar wenig gelungen", kritisiert Hermann Schützenhöfer, steirischer Landesrat, AAB-Obmann und Jubilar. Schützenhöfer feiert diesen Samstag mit der ÖVP- Bundes- und Landesspitze im Grazer Kunsthaus "25 Jahre steirischen Club AAB". Seit einem Vierteljahrhundert versucht sich diese "steirische programmatische Kaderschmiede" (Schützenhöfer) bereits als ideologische Korrektur zur pragmatischen Tagespolitik der ÖVP.

Schützenhöfer, der sich mit sozialpolitischen Vorstößen immer wieder den Unmut der Bundesparteispitze einheimst, weiß natürlich, dass vieles, was in den unzähligen Symposien und Tagungen gefordert wurde, graue Theorie bleiben musste. Schützenhöfer: "Wenn man Kanzlerpartei und in der Alltagsarbeit verhaftet ist, treten programmatische Grundsätze oft in den Hintergrund. Es geht aber trotzdem darum, ständig aufmerksam zu machen, den Sozialstaat in einer Balance zu halten."

Die Bundesregierung habe einen notwendigen Reformprozess eingeleitet, der komme aber bisweilen "mit quietschenden Reifen" und Fragezeichen daher. "Der Reformprozess ist wichtig, er muss aber den Betroffenen übersetzt werden", fordert Schützenhöfer.

Eine notwendige Reform stehe noch immer bei der von ihm seit Jahren geforderten Einführung eines Mindestlohns in der Höhe von 1000 Euro an. Der AAB-Politiker: "200.000 Menschen verfügen noch immer nicht über diese Mindestsumme. Hier hat unser Wohlstandsstaat noch immer ein schweres Leck. Wir können uns in unserer Neidgesellschaft zwar fürchterlich aufregen, wenn jemand mehr bekommt. Wir regen uns aber überhaupt nicht auf, wenn jemand viel weniger kriegt."

Angesichts des politischen Status quo beschleicht Schützenhöfer leichte Resig^nation: "Je länger ich in der Politik bin, desto stärker wird mir bewusst, dass vieles nicht gerecht zugeht." (DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.11.2004)