Kings of Leon
Aha Shake Heartbreak
(BMG)

Foto: BMG
Foto: BMG/Jo McCaughey

Ein kluger Mann hat einmal gesagt, dass das Wissen zuerst ein Stein sei, mit dem man prächtig auf andere werfen kann. Zuletzt aber handle es sich um einen Fels, der einen begräbt. Diese Vermutung findet sich auf geradezu exemplarische Weise immer auch in der Rockmusik bestätigt. Ein Genre, in dem es seit Jahren und Jahrzehnten immer auch mehr darum geht, das Gedächtnis und weniger den Geist zu gebrauchen. Immerhin ist man mit Gitarre, Bass und Schlagzeug im Zeichen des normativen Viervierteltakts schon längst nicht nur zwei oder drei Mal an derselben Stelle vorbeigekommen.

Im Rock geht es im dritten Jahrtausend vor allem darum zu kaschieren, dass hier schon wieder jemand zum mindestens 13. Mal an derselben Stelle vorbeikommt. Unter der vom Münchner Schriftsteller Helmut Krausser aufgestellten Maxime "Hic Hades, hic Olympos" versuchen sich jetzt auch die großartigen US-Südstaaten-Landeier Kings of Leon auf ihrem neuen, ihrem zweiten Album ,,Aha Shake Heartbreak" an einer übermächtigen Vorgabe. Nach dem viel gelobten Debüt "Youth and young Manhood" prescht das aus drei Brüdern und einem Cousin bestehende Familienunternehmen aus Tennessee mit einer möglicherweise nicht ganz wasserdichten Biografie als gottesfürchtige Nachkommen eines herumstreunenden Wanderpredigers im Gepäck auf einem schmalen Grad zwischen Verdammnis und Erlösung, zwischen Schaden und Spott und uneingeschränkter Bewunderung dahin. Und mit ihrer hier auf zwölf Songs verteilten Sichtung alter Errungenschaften der südlich geprägten US-Rockmusik der alten und ältesten Schule gelingt Chaleb, Nathan, Jared und Matthew Followill dabei tatsächlich einer der gewaltigsten Luftsprünge im derzeit wieder vital wie früher dastehenden Genre der jugendlich bewegten Gitarrenmusik. Neben den aktuellen Arbeiten von so unterschiedlichen Bands wie Interpol, Franz Ferdinand oder Mando Diao oder auch den wild-schneidigen schwedischen Anzugrockern The Hives muss "Aha Shake Heartbreak" heuer sicherlich als Höhepunkt in diesem Marktsegment gewertet werden.

Wie gesagt, erfunden wird hier rein gar nichts. Wie die Kings of Leon aber mit dem räudig und rau intonierenden, die Texte verschluckenden, nuschelnden, zerkratzenden und zerkauenden und gleichzeitig seinen mächtig unter Dampf stehenden jugendlichen Sturm und Drang herausrotzenden Sänger Chaleb geschichtlich sichtend und durchaus auch neu ergänzend vorgehen, das ist schon sehr prächtig anzuhören. Sei es etwa im Stück Taper Jean Girl, in dem Chaleb wie ein brünftiges Tier auf seine sexuelle Beute lauert und die Band hinten sich in gutem altem Halbstarkentum ergeht; sei es im mit den Errungenschaften des Undergroundrock modernerer Prägung tempomäßig gut hochgefahrenen Slow Night, So Long, in dem die faulen Beats des Südens gar auf die hektische Kaputtheit der New Yorker Strokes treffen.

Unter der Produktionsregie des Szeneveteranen Ethan Johns, der auch mal als aktiver Musiker ein Boogiepiano beklimpert oder die Orgel schweinigeln lässt, werden hier historisch gut abgehangene Gitarrenriffs aus der Schule Neil Youngs oder Lynyrd Skynyrds oder von Little Feat und Creedence Clearwater Revival derart heftig mit frischem Sauerstoff beblasen, dass die FM4-Jugend nicht ohne Grund beim Hören der Kings freudig zu hyperventilieren beginnt.

Jugend und Revolte. Alle Wünsche, alle Hoffnungen, aller Aufruhr des Herzens und Zorn des Geistes werden hier in schmucklose, aber nicht unpfiffig miteinander im Kreuzgang kommunizierende Gitarren gelegt. Sie vertrauen darauf, dass eine klare Idee besser funktioniert als diverse künstlerische Verklausulierungen. Der Schmerz der Seele erfährt schließlich eine Abfuhr im Country-Jodler Day Old Blues. Dass es im Song Soft dann auch noch um alkoholbedingte Erektionsprobleme eines kaum den Teenagerjahren entkommenen Sängers geht, dürfte dieses Hörvergnügen gerade auch für ältere Hörer nicht unbedingt mindern.

Unbändiger Lebenshunger - und textlich nachzuprüfen immer wieder auch Durst: lange nicht ist das so herb-charmant wie gleichzeitig elegant und alterssouverän formuliert worden. Ein Album des Jahres. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.11.2004)