Die wöchentliche Kolumne von Thomas Rottenberg. Jede Woche auf derStandard.at/
Panorama.

Jetzt auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten der vergangenen drei Jahre - zum Wiederlesen & Weiterschenken.

"Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Echo-Verlag
Im Grunde habe ich ihn kaum gekannt. Nicht so, wie man jene Menschen kennt, über die und von denen man ernsthaft sagen kann, sie wären Freunde. Wir haben uns nie verabredet, sind nie gemeinsam abgehangen und nie gemeinsam um die Häuser gezogen. Und auch über den Lauf der Welt haben wir nie diskutiert. Nicht wirklich. Jedenfalls nicht so, wie man das unter Freunden tut. Unter echten Freunden.

Kein Freund? Natürlich war P. ein Freund. So wie in Wien alle allerbeste Freunde sind, die Mitte der 90er-Jahren in der Club- und Partyszene irgendeine Funktion hatten: P. hatte zwei Jahre lang Clubs im Volksgarten organisiert. Und danach den ersten Partybilderserver der Stadt hochgezogen. P. war immer mit den hübschesten Mädchen unterwegs. Hatte VIP- und Clubkarten zu allen wichtigen Orten, stand auf jeder Gästeliste und hatte alle Handy- und Geheimnummern der relevanten Leute. P. war zur richtigen Zeit immer genau dort, wo man zu sein hatte, wenn man jemand sein wollte.

It-Boy

Nur: Im Gegensatz zu all den It-Boys tat P. nie so, als glaube er an dieses Leben. Und auch wenn er es nicht hinausposaunte, blitze in seinen Augen immer eine skeptische, ironische Anmerkung oder Frage auf: Sicher, sagte P., wenn man mit ihm länger als drei Songs an der Bar abgehangen hatte, das hier, sei alles fein, nett und lustig – aber manchmal frage er sich schon, ob die Leute rund um ihn wirklich so hohl wären, wie sie schön täten.

P. hatte Prinzipien. Und Grenzen. Und – wenn die einmal erreicht waren - keine Hemmungen, sich selbst wirtschaftlich schwer zu beschädigen: Als er etwa mitbekam, wie die Türsteher „seines“ Clubs manche Leute behandelten, verließ er ohne zu überlegen eine Goldgrube. Und als andere mit Party-Homepages begannen, Geld zu verdienen, beharrte er trotzdem darauf, nicht bloß Ramsch zu zeigen, sondern so entwickelte Konzepte. Von wegen Anspruch, Information und Kommunikation – und vergraulte so potenzielle Investoren so lange, bis seine Partyseite völlig unrentabel war. P. lachte nur – und weil wir irgendwann beide vom ewigen Partygehen übersättigt waren, kreuzten sich unsere Wege bald immer seltener.

Jobsuche

Diesen Montag fragte mich K. dann, wann denn ich P. das letzte Mal gesehen hätte. Und wie er drauf gewesen sei. Ich hatte zehn Tage gehabt, mich auf die Frage vorzubereiten: P., wusste ich, hatte vor einem halben Jahr das letzte Mal angerufen. Er hatte gefragt, ob er im Standard.at die hier doch sicherlich zu findenden Partyfotos betreuen dürfe. Außerdem habe er sich in letzter Zeit mit Schamanismus, weißer Magie und Heilkünsten befasst. Darüber wolle er eine wöchentliche Kolumne – am liebsten im Rondo – schreiben. Ich hatte geseufzt, er hatte gelacht - und versprochen, mir ein kleines Konzept zu schicken. Zum Weiterleiten.

K., war nicht die einzige, die mir – und jedem anderen hier – am Montag die Frage nach dem letzten Kontakt gestellt hatte: Irgendwann im Lauf der letzten eineinhalb Jahre hatten die Meisten – zumindest viele von denen, die wir noch aus unseren „wilden“ Clubtagen kannten – den Kontakt zu P. verloren. K. hatte P. noch regelmäßig getroffen. Aber auch ihr, flüsterte sie, während der Pfarrer mit seinen Geräten herumfuhrwerkte, sei nichts aufgefallen: P. war wie immer. Sprunghaft. Schnell begeistert und ständig verliebt. Ins Leben und in die Menschen. Mit tausend Träumen von einer besseren Welt und zehnmal so vielen Ideen, wie man dorthin kommen könnte im Kopf. Immer ein bisserl verzweifelt, dass ihm das noch nicht gelungen sei – aber sicher, dass der nächste Versuch ihn weiter bringen werde.

Durch den Wind

P., sagte K., sei völlig durch den Wind gewesen. Also eigentlich ganz er selbst. Und immer vom Wunsch getrieben, den Sprung zu wagen. Loszulassen - und in eine andere, bessere, schönere Welt zu fliegen. In eine Welt, in der er wirklich glücklich wäre. Als K., merkte, was sie da gesagt hatte, brach sie in Tränen aus. Sie habe das so gemeint, sagte sie. P. habe es selbst so gesagt. Öfters. Nur hätte sie – und auch sonst niemand - nie geglaubt, dass P. wirklich springen würde.

P. ist Mitte November von einer Brücke gesprungen. Wenige Tage vor seinem 30. Geburtstag. Er konnte nicht fliegen.