Fatale Umarmungen und kein Trost in Sicht: Min-sik Choi (re.) und Hye-jeong Kang (li.) in Chan-wook Parks Meisterwerk "Oldboy"

Foto: 3L-Filmverleih
... das in Cannes heuer bereits mit dem Großen Jurypreis prämiert wurde.


Wien - Spätestens in jenem Moment, in dem sich der "Held" dieses Filmes mit einem Hammer auf den Weg macht, um in einem abgefuckten Hotelgang unter rabiaten Schlägern wortwörtlich schlagkräftig aufzuräumen - spätestens in diesem Moment von Oldboy, wenn der bewegte Bildausschnitt sich zunehmend mit tobenden und stürzenden Körpern füllt, wird in manchen Kinoreihen ein leises Murren über obszöne Gewalt, ja Zynismus laut.

Die, die das sagen, sind nicht selten Menschen, die zuletzt mit Filmen von Quentin Tarantino eine gute, amüsante Zeit verbracht haben. Und einmal mehr darf man erkennen, dass es sich mit den (dramatischen bzw. dramatisierten) Vorstellungen von Gewalt weiterhin so verhält wie mit dem ewigen Unterschied zwischen Räuber und Gendarm und einem tatsächlich unauflöslichen Konflikt.

Wo Tarantino in Kill Bill nämlich Rache als Motiv zum Anlass nimmt, Kinoerinnerungen und Genres miteinander zu versöhnen, hat der koreanische Regisseur Chan-wook Park mit Spielchen rein gar nichts am Hut: vielmehr skelettiert er die alte Fabel vom Unrecht, das wieder Unrecht gebiert, bis auf die Knochen - knappe, fast traktathafte Kapitel/Akte -, während gleichzeitig im Breitwandformat Schmerz zu gekrümmten Haltungen gerinnt. Da wäre zum einen ein Geschäftsmann und Alkoholiker (Min-sik Choi), der aus heiterem Himmel entführt, unter Drogen gesetzt, und schließlich nach 15 Jahren ohne jede Kenntnis seines Folterers freigelassen wird - aber wofür? Sein Rachefeldzug erweist sich schnell als Baustein in einem größeren Plan. Täter- und Opferschaften verkehren sich mitunter blitzschnell in ihr Gegenteil, bis irgendwann selbst idyllische Erinnerungen mit Schuld förmlich durchtränkt sind.

Kafka-Variationen

Nach einer Comicsvorlage inszeniert, mag man Oldboy immer noch als Pop-Albtraum gelten lassen: Seine Vorbilder dürften irgendwo zwischen Sam Peckinpah und Brian De Palmas Scarface liegen. Chan-wook Park selbst verweist in Interviews interessanterweise vor allem auf Kafka. Und in der Tat könnte man entlang der ausweglosen Handlungsführung etwa von Der Prozeß motivische Anleihen in Oldboy förmlich nachlesen.

Wie eine Szenenanweisung (unter veränderten Bedingungen) wirkt da Kafkas berühmter Romanschluss, an dem Chun-wook Park sich den ganzen Film hinweg in vielerlei Variationen immer wieder abarbeitet: "An K.s Gurgel legten sich die Hände des einen Herrn, während der andere das Messer ihm tief ins Herz stieß und zweimal dort drehte. Mit brechenden Augen sah noch K., wie die Herren, nahe vor seinem Gesicht, Wange an Wange aneinander gelehnt, die Entscheidung beobachteten. 'Wie ein Hund!' sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben."

In Oldboy werden, um bei diesem Bild zu bleiben, die Messer so lange gedreht, bis sie förmlich rotieren. Aber die Scham angesichts einer Ausgesetztheit, in der man (sich) nur verlieren kann, sie bleibt bleiern bestehen. Sicher, dieser Film ist wild bis an den Rand des Action-Painting, aber hinter all dem brüllenden Eskapismus stehen eine Überlegtheit und eine Ernsthaftigkeit, deretwegen man von diesem Filmemacher mit einiger Sicherheit noch ganz viel hören wird. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.12.2004)