Der "Martini-Sommer", also die Entsprechung unseres Altweibersommers, dauert in Lissabon bis Weihnachten

PhotoDisc
Ein bisschen Lila noch. Und hier könnte es noch ein wenig von der gelben Paste vertragen. Schön langsam sehen die Striche auf der Fliese - Pardon, dem azulejo natürlich - auch wirklich wie ein Schiff aus. Inspiriert vom malerischen Innenhof des Klosters "Convento dos Cardaís" lässt sich so mitten im Lissabon des 21. Jahrhunderts eine gedankliche Zeitreise zur Heiligen Teresa von Ávila unternehmen. Sie war es, die den Karmeliterorden, dem die einst hier ansässigen Nonnen angehörten, gegründet hat.

Das heilige Antlitz hat bereits ein weitaus begabterer Maler auf den unzähligen blau-weiß-gefärbten Azulejos in der Kapelle verewigt. Aber immerhin: Nach dem Brennen der eigenen Kachel sieht auch diese so aus, als könnte sie an der Fassade eines der frisch renovierten Häuser in der Lissabonner Altstadt durchgehen.

"Martinisommer"

Es ist November, und bei einer Temperatur von 25 Grad hat der "Martini-Sommer", wie man es hier nennt, seinen Höhepunkt erreicht. In Portugals Hauptstadt hat es seit 50 Jahren nicht geschneit, dafür besitzen die Lissabonner einen permanenten Regenbogen. Mitten in der Stadt. Das Farbenspektrum soll die Vielfältigkeit der portugiesischen Identität symbolisieren - und was wäre dafür besser geeignet als ein Azulejos-Regenbogen, der dem Tunnel an der Avenida Fontes Pereira de Melo neuen Glanz verleiht.

Wandmalereien sind ein fixer Bestandteil der bunten portugiesischen Kachel-Welt. Sie sind in Lissabon omnipräsent. Bei einem Spaziergang durch die Altstadt stößt man auf Gebäude, die aus nichts anderem mehr bestehen als der Fassade. Und die soll mit den Stadtbild-prägenden azulejos restauriert werden.

Schutz vor salziger Luft

Die Stadtverwaltung verwendet große Summen für die Instandsetzung der potemkinschen Häuser. Die geschmackvoll verzierten Fließen bilden an manchen Fassaden ganze Gemälde, an anderen bestechen sie durch die Symmetrie ihrer Anordnung. Der praktische Effekt dabei: Der Kachel-Mantel schützt die Häuser, oder das, was noch von ihnen übrig ist, vor salziger Luft und Hitze.

Hitze selbst hier, wo man sich durch den Fahrtwind etwas an Erleichterung erhofft hatte. Die Fenster von Tram Nr. 28, der berühmtesten Straßenbahnlinie Lissabons, sind zwar weit geöffnet, ein richtiges Lüftchen will aber nicht aufkommen. Was wahrscheinlich daran liegt, dass circa alle 150 Meter angehalten wird, weil einer der Lissabonner Autoquäler schnell einmal ob eines dringenden Notfalls in zweiter Spur parken musste.

Der Straßenbahnlenker nimmt es gelassen. Wahrscheinlich macht er es selbst genauso, wenn er gerade nicht im Dienst ist. Ein Lkw-Fahrer, der gerade beginnen will, seine Ware zu entladen, tut das auch. Selbst wenn die Tram auf ihrem Weg vom Platz Martim Moniz zum Cementério dos Prazeres ("Friedhof der Vergnügungen") schon hinter ihm Sturm läutet. So viel Zeit muss sein. Wenn sich die Tram allerdings einmal durch eines der schmalen Gässchen windet, die für Autos gar keinen Platz mehr lassen, muss der Fahrer mitunter streng an der Handbremse kurbeln, damit der Wagen nicht zu schnell den Berg hinunterstürzt.

Wer etwa von der Baixa, dem schachbrettartig angeordneten Geschäfts- und Bankenviertel Lissabons in den Chiado, den einst sehr vornehmen Intellektuellenbezirk möchte, nimmt am besten den Elevador de Santa Justa. Der Aufzug, den ein Schüler Gustav Eiffels konstruiert hat, verbindet Ober-und Unterstadt über einen Höhenunterschied von rund 30 Metern.

Bequemes Erklimmen

Für ein bequemes Erklimmen der Hügel kann man auch eine der drei Standseilbahnen benützen. Beim Elevador de Bica etwa muss für eine Strecke von rund 200 Metern schon mal eine gute halbe Stunde eingeplant werden. Der Schaffner an der Talstation, die sich in einem kleinen Haus in der Rua de Sao Paulo versteckt, wartet erst mal das Eintreffen aller Reisgäste ab. Wer zu spät kommt, wie die alte Dame mit ihrer Enkelin, kommt trotzdem mit. Der Fahrer kommt ihr sogar entgegen, um beim Einsteigen behilflich zu sein.

Oben angekommen, lässt es sich wunderbar Kaffee trinken. Wer am Praca de Camoes eine Bica trinken will, muss nicht unbedingt teuer bezahlen. Für den Stehkaffee an der Theke des "A Brasileira" zahlt man 50 Cent. Aber wer will bei dem Wetter schon drinnen stehen? Also raus auf den herrlichen Platz voller Bodenmuster. Der ist den Mehrpreis von rund einem Euro auf jeden Fall wert.

Zufrieden streift man weiter durch die Straßen, die meist in schwarz-weißen Mustern gepflastert sind. Und wer genau hinsieht, entdeckt mancherorts auch das Symboltier Lissabons im Bodenbelag: den Raben.

Weil samstags Waschtag ist, muss man die prächtigen Fliesen-Wandmalereien an diesem Tag hinter der Wäsche suchen. Die hängt hier nämlich auch im Winter zum Trocknen in der Sonne. Ein Umstand, den man, wieder zu Hause, kaum glauben mag. Hier wärmt nur der Tee - und als Untersatz das selbst gemachte azulejo mit prächtigem Sonnenschein über dem Schiff. (Der Standard/rondo/2/12/2004)