Leda und der Schwan, um 1600

Foto: Privatsammlung
... Das Kunsthistorische wie das Liechtenstein Museum und die Akademie am Schillerplatz


Wien – Erst unlängst wieder gelangte es in Wien zu einer Rubens-Ausstellung. Nicht zu irgendeiner, nein: zur Mutter aller Rubens-Ausstellungen. Gleich drei Museen haben sich daran beteiligt, den Meister des Wolkerlspecks hochleben zu lassen, der pelzverbrämten Cellulitis die finale Algenpackung zu verpassen.

Obwohl man gleich vorweg sagen muss, dass es keinen Anlass gab. Weder fügte sich ein Geburtstag einer Rundung, noch gibt es die kurvige Wiederkehr eines seligen Ablebens zu feiern. Nein: Aus rein ästhetischen Gründen haben sich die ansonsten untereinander eher reserviert miteinander umgehenden Direktoren der Häuser Kunsthistorisches Museum, Palais Liechtenstein und Akademie am Schillerplatz zusammengefunden, um uniert festzustellen: "Es geht um Kunst und nicht um Quoten."

Wir zeigen der Jugend jetzt, wer die 0900er-Nummern ("Ruf a-an...!") erfunden hat: Eine Werkstatt aus Antwerpen, eine im Westfälischen geborene Idee, schon im 17. Jahrhundert die Arbeitsteiligkeit durchzudrücken. Weil, und dessen muss man sich auch beim Wiener Parcours bewusst sein: Wo Rubens draufsteht, muss nicht Rubens selbst Hand angelegt haben. Wie sonst wohl hätte es zu den gut 3000 Werken kommen können, die da jetzt auszugsweise vor uns dargebracht werden?

Nachdem, und auch das muss man sich einmal vorstellen, der Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder schon vor wenigen Monaten den Rubens-Rahm abgeschöpft hat. Allein: Der Meister des diagonal angelegten Pathos, der findige Zusammenschauer von Jahrhundertern an italienischer Malerei, der ungemein zielstrebige Maler unzähliger Akte (eine gewisse Helene stand Modell und hat konsequenterweise das Gros dessen, was ihren Reize huldigte, vernichtet), der Mann, der dem (Bild-)Zyklus erst zu seiner Fruchtgewinn bringenden Bedeutung verhalf, sorgt immer noch für Aufsehen.

Was Nolde und Gauguin zusammen nicht zustande gebracht hätten: Der Rubens schafft es. Der füllt die Säle, obwohl er doch schon immer da war. Da braucht bloß der Herr Direktor Seipel seinem alten Motto treu bleiben und also zu Gold erklären, was längst schon glänzte. Da braucht bloß der Herr Direktor Kräftner für sensationell erklären, womit er doch erst unlängst sein Haus eröffnet hat (Rubens – Decius mus), und schon ist die Sensation perfekt, schon weiß man, dass die verbürgten Massen auch kommen werden.

Sicher, da gibt es allerhand Spitzfindigkeiten für den Kenner zu vermerken, da hängen jetzt flämische Löwen herum, die alles übertreffen, was uns die Albertina unlängst erst als unübertrefflich verkauft hat.

Diagonal gespannt

Da wird eine Lichtführung demonstriert, die ihresgleichen sucht. Da erscheint auch noch das Pelzchen in neuem Licht. Da wird uns erst bewusst, was es heißt, den ganzen Rubens zu sehen: nichts. Da wird uns vermittelt, unter welch unfassbaren Umständen, das Organisatorische betreffend, es endlich gelungen ist zusammenzuführen, was nie für ein Nebeneinander gedacht war, da erkennen wir erst, wie unverzichtbar es ist, einen der tausenden Rubense im Lichte Wiens zu sehen.

Da wissen wir erst, wozu die Reisefreiheit erfunden wurde: zum Zuhausebleiben. Dazu, abzuwarten, bis auch noch die letzte Skizze von irgendwoher angeliefert wird.

Schön ist so ein Rubens natürlich schon, aber wird man dem alten Diplomaten jetzt wirklich gerecht, im logistisch tadellos ausgewogenen Unterfangen, ihn ins Haus zu liefern? Ist es nicht eine ungemeine Dummheit, den Meister der üppigen Begehrensklassen sonderausstellungsmäßig zu verorten?

Wollen wir diesen Rubens wirklich bloß mit den Wiener Linien erfahren? Wollen wir die ohnehin skurrile Kategorie flämischer Fleischeslust importiert wissen, anstatt sie global bewusst, wie wir nun einfach erzogen werden, jeweils vor Ort zu erfahren?

Sicher – dafür kann jetzt wieder der Rubens nichts. Aber man sieht recht deutlich, dass ein Kraftakt so einem Pelzchen einfach nicht sehr gut bekommt. (DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.12.2004)