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San Francisco/Wien - Die Physik hat es noch vergleichsweise einfach: Mit der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik stehen ihr heute zwei umfassende Modelle zur Verfügung, mit denen sie die Grundgesetze des gesamten Kosmos beschreiben kann. Was aber ist mit der Biologie?

Trotz der unüberschaubaren Vielfalt an Formen und Systemen, die das Leben hervorbringt, fallen doch Gemeinsamkeiten auf: Alle Zellen arbeiten nach einem genetischen System, das auf Nukleinsäuren aufgebaut ist, jedes Herz eines Säugetieres schlägt knapp 1,5 Milliarden Mal bis zum Tod, die Population einer Spezies nimmt mit zunehmendem Größenwachstum ihrer Individuen ab, die Anzahl von Spezies im selben Lebensraum nimmt zu, je näher dieser am Äquator liegt. Muss es also in der Biologie nicht auch eine umfassende Theorie geben, welche die gesamte Ökologie erklärt?

Gibt es eh, behaupten die Biologen James Brown von der Uni New Mexico und Brian Enquist von der Uni Arizona sowie der Physiker Geoffrey West vom Santa Fe Institute, nämlich ihre auf Stoffwechselraten basierende "one rate to rule them all" - frei nach Tolkien übersetzt: "Eine Formel, sie alle zu knechten." Das US-Fachmagazin "PlosBiology" widmet dieser "Ökologie des Stoffwechsels" nun ein aufschlussreiches Feature.

Magisches Dreiviertel-Gesetz

Der US-Biologe Max Kleiber hatte schon 1932 die Stoffwechselraten, also den Energieumsatz pro Tag, von Tauben, Ratten, Schafen, Rindern und Menschen untersucht. Wie erwartet, nahm die Stoffwechselrate mit der Körpermasse ab (eine Maus muss etwa täglich ihr halbes Gewicht verzehren, der Mensch nur zwei Prozent), allerdings nicht linear: die Stoffwechselrate entspricht der Dreiviertelpotenz der Körpermasse (m hoch 3/4).

Inzwischen wurden die Stoffwechselraten hunderter Tiere und Pflanzen untersucht. Und immer traf die 3/4-Formel zu. Wegen der Netzwerke zur Versorgung aller kleinster Einheiten von Pflanzen und Tieren (Zellen), die ungeachtet der Unterschiede im Detail nach den gleichen Prinzipien organisiert sein, erklären die Forscher. So ist etwa das Gefäßsystem so strukturiert, dass das Blut mit möglichst geringer Reibung zirkuliert. Große Gefäße verzweigen sich flächenerhaltend: die Tochtergefäße haben zusammen denselben Querschnitt wie das Muttergefäß. In engen Kapillaren jedoch nimmt die Reibung zu: Um Energieverluste zu minimieren, nimmt mit jeder Verzweigung der gesamte Gefäßquerschnitt zu.

In diesen Netzwerken besteht ein Zusammenhang zwischen der Rate, mit der Sauerstoff und Nährstoffe transportiert werden, und dem Volumen der Gefäße: Die Transportrate ist proportional zum Volumen hoch 3/4, die Stoffwechselrate, die durch die Versorgung der Zellen bestimmt wird, ist ebenfalls proportional zum Volumen hoch 3/4 - und da das Volumen der Gefäße proportional zur Körpermasse ist, verhält sich die Stoffwechselrate tatsächlich wie m hoch 3/4.

Da die Temperatur einen extremen Einfluss auf die Stoffwechselrate hat (fünf Grad mehr brauchen 150 Prozent mehr Energieumsatz), muss diese berücksichtigt werden. Korrigiert um Größe und Temperatur hätten aber Mensch, Taube, Krokodil, Kugelfisch, Tulpe und Tomate so ziemlich die gleichen Stoffwechselraten. Ausgehend davon könne man mit der 3/4-Formel Wachstum, Lebensspanne und Reproduktion berechnen.

Diese Theorie ist auch in Hinblick auf die globale Erwärmung interessant. Wenn sich durch steigende Temperaturen der Stoffwechsel der Individuen beschleunigt, verbrauchen sie mehr Ressourcen, was bedeutet, dass sich die Zahl der Individuen und damit die Bevölkerungsdichte verringern muss. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 12. 2004)