The Paperchase
God Bless Your Black Heart
(Kill Rockstars/ Trost/ Substance: 5236757)

Foto: Trost
John Congleton und The Paperchase aus dem texanischen Dallas legen mit "God Bless Your Black Heart" das ebenso mit- wie niederreißende Depressionsalbum des Jahres vor.


Das erste Album des Texaners John Congleton und seiner Band The Paperchase aus 2000 trug den schönen Titel "Young Bodies Heal Quickly, You Know". Die darauf enthaltenen Songs entstanden in unmittelbarer Reaktion auf Congletons damalige Panikattacken. Die sind zwar mittlerweile wegtherapiert. An der Ausrichtung des Quartetts hat sich allerdings herauf vom zweiten Album "Hide The Kitchen Knives" bis zum jetzigen Meisterwerk "God Bless Your Black Heart" wenig geändert. The Paperchase bieten ebenso mitreißende wie niederreißende Endzeitsongs aus den tiefsten Tiefen existenzieller Verzweiflung.

John Congleton über "God Bless Your Black Heart": "Das Album verhandelt Grundsätzliches. Es hilft ja nichts, aber: Warum sind wir hier? Warum sollten wir Gutes tun? Macht das wirklich Sinn? Sind Menschen nur nett zueinander, weil sie sich eine wie auch immer geartete Belohnung dafür erwarten? Nicht dass ich ein Nihilist wäre, aber unsere Welt bettelt geradezu um solche Fragen."

The Paperchase bieten diesbezüglich auch gleich einige mögliche Antworten. An ihren Songtiteln sollt ihr sie erkennen: "Ready Willing Cain And Able", "Dying With Decent Music" oder "The Sinking Ship, The Grand Applause". Musikalisch hat sich das Quartett dieses Mal mit Streicherensemble und einer zunehmend selbstverständlicher klingenden Integration von Elektronik und Samples, die auch Ausschnitte aus amerikanischen TV-Predigershows beinhalten, eine Amokfahrt genehmigt. Die könnte man auch als Sturz die Kellertreppe hinunter beschreiben.

Neben Congletons geschundenem und auf der Streckbank gezerrtem Kehlkopf und einer oft irre neben Metrik und Takt und banalen Akkordvorgaben rasenden Freistilgitarre hören wir hier pochende Bassgitarren, betrunkene Kirmesorgeln und geriatrische Klavierballadentöne im Stile eines Kurhotelpianisten, der gerade eine Hand voll Violinen in den Wahnsinn treibt. Dazu setzt es schwankende Seemannslieder, die von einem Geisterschiff herwehen, das gerade in einen tödlichen Strudel gezogen wird. Unten in seinem Nichts beheimatet der eine mit mathematischer Präzision wütende Metalband. Statt eines Schlagzeugs pocht der Sensenmann an die Tür.

Wer jetzt die zarte Vermutung hegt, dass es sich bei der Kunst von The Paperchase um eine durchaus anstrengende handeln könnte, liegt zwar absolut richtig. Allerdings beherrscht John Congleton neben der hohen Schule vertrackter Lärmerzeugung vor allem auch eines: Er weiß, wie man in Songs Dramatik aufbaut und Dynamik einbaut - und der weidwunde Heldentenor kann vor allem tolle Melodien schreiben! Allein wie sich der Eröffnungssong "Said The Spider To The Fly" von einer melodramatischen, konventionellen Klavierballade zu einem furiosen, mit hämmernden Akkorden und verdoppelten Stimmen forcierten Untergangsmarsch Richtung Rand der Hölle aufbaut, ist schon den Ankauf wert.

Abhören wird man sich auch an den folgenden 13 Songs über Paranoia, die Schattenseiten von Beziehungen, die Einsamkeit, das Böse, den Stress, die Angst nicht so schnell. Nach dem Aids-Requiem der elektronischen Tragöden von Xiu Xiu mit "Fabulous Muscles" die erschütterndste Musik dieses Jahres. Jetzt muss sogar John Congleton lachen: "Es ist ein düsteres, bedrückendes Album. Es wird dich nach unten ziehen."
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.12.2004)