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Foto: REUTERS/Philippe Wojazer
+++Pro von Christoph Winder

Der Alltag ist öd genug, und wo immer sich die Gelegenheit zu Mummenschanz und Mimikry bietet, da sollte man beherzt zugreifen, um ein bisschen Farbe in die mausgrauen Lebensroutinen zu bringen. Die Ohrenmützen in all ihren erhabenen Erscheinungsformen zählen zum Beispiel zu jenen Utensilien, die ihrem Träger über den bloßen Nützlichkeitsaspekt hinaus auch psychologisch viel Freude bereiten können.

Wo immer man sie sich über die Ohren zieht, fühlt man sich nicht nur gegen Wind und Wetter geschützt, sondern sogleich auch in andere, beliebig auswählbare Identitäten versetzt. Mit einer Trappermütze aus Bärenfell lässt sich das Karl-May-artige Lebensgefühl der frühen Pubertätsjahre mühelos wieder hervorrufen.

Auch die in Disneyland in den Varianten „Goofy“ und „Mickey“ erhältlichen Ohrenmützen sprechen eher das Kind im Mann an, in ihrer geschmackvoll- heiteren Eleganz eignen sie sich aber auch gut zur Auflockerung von Erwachsenenveranstaltungen wie Vorstandssitzungen oder Redaktionskonferenzen. Entzückend waren auch jene steilen Wollkappen, mit denen sich Joschka Fischer, Benita Ferrero-Waldner und Kollegen beim EU-Gipfel 2000 auf den Azoren den Pressefotografen stellten. Offenbar weiß man auch in Kreisen europäischer Spitzenpolitiker, dass das Ohrenmützchen beste Dienste leistet, wenn zwischendurch einmal ein paar Stunden Urlaub vom Ich angesagt sind.

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Contra ---
von Christoph Prantner

Kappen, Hauben, Mützen, Hüte – ich kenne sie alle. Meine betrüblichsten Winter habe ich unter ihnen verbracht. Und gelitten. An jener Kopfbedeckungspflicht, mit der Obsorgeberechtigte im Machtrausch noch heute täglich Exempel statuieren. Seither gilt für mich: Wer sich einen Hirnwärmer aufsetzen lässt, ist schon unter der Haube. Wer sich aus eigenem Antrieb ein Mützlein überzieht, der hat keinen Begriff von wohltemperierter Freiheit. Dass in einem Geschäft eines redaktionsnahen Tschako- Tandlers zu lesen ist, es sei besser, einen verrückten Hut als einen verrückten Kopf zu tragen, mag zutreffen.

Aber ich frage Sie: Wie derangiert muss jemand sein, der sich eine lateinamerikanisch anmutende Kappe mit Ohrenschutz drüberstülpt, die das ästhetische Empfinden eines jeden Alpakas beleidigt? Oder diese beliebten Minus- 40-Grad-Russki-Pelzhauben. Wien ist nicht Kiew. Revolutionen, bei denen es tageweise nötig ist, geheizte Räume zu verlassen, kommen bei uns jetzt ja auch nicht so oft vor, dass man in der Tat genötigt wäre, sich regelmäßig ein totes Opossum um den Kopf zu wickeln. Oder?

Ein unbehüteter Mensch lässt seine Ohren im Frostwind segeln. Er ist frei und immer auf dem Sprung. Und sei es auch nur zum Arzt, wegen der zünftigen Mittelohrentzündung. Er trägt seinen kühlen Kopf hoch. Den anderen kreisen lauwarme Gedanken um die Hutschnur, sich vielleicht auch eine lange Unterflak zuzulegen – am End’ auch eine mit Ohrenschutz.  (DER STANDARD/rondo/22/12/04)