"Ein Mensch, der keine Träume mehr hätte: Das wollte ich nicht sein." Werner Herzog im Gespräch über sein Buch "Eroberung des Nutzlosen", erschienen im Carl Hanser Verlag, München/Berlin.

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Die Tagebücher hat Herzog während der Dreharbeiten zu "Fitzcarraldo" im Dschungel des Amazonas schrieb: einen beispiellosen Bericht aus dem Herzen der Finsternis.


Wien - Winzigste Buchstaben, sehr stark linksläufig, mit denen man "auf einer Zigarettenschachtel drei DIN-A4- Manuskriptseiten notieren konnte"; ein Teil der Aufzeichnungen: von Termiten zerfressen; die gewaltigen Überreste: Notizen wie leere und dann wieder gebannte Blicke eines Erschöpften - auf Gestrandete am Ufer des Amazonas, dann wieder, wie Einsprengsel, Verweise auf Produktionsvorbereitungen und Dreharbeiten, die allen Beteiligten über den Kopf zu wachsen drohen. Hinter kürzesten Einträgen - "Intensive Arbeit", "Schlimme Tage", "Stillstand": höchste Desperation.

Eroberung des Nutzlosen: Wenn Werner Herzog die gut ein Vierteljahrhundert aufgeschobene Relektüre und Edition seiner Tagebücher während des traumatischen Kampfes um Fitzcarraldo mit einem denkbar kurzen Vorwort einleitet, so ersteht im Auge des Lesers sofort der ganze Irrwitz, den selbst weniger cineastische Kinogeher sofort mit drastischen, berühmten Filmszenen assoziieren: da ein Schiff, "sich einen steilen Hang im Dschungel hinaufwindend"; dort Klaus Kinski, tobend, als besessener Kautschukbaron, der in eben diesem Dschungel ein Opernhaus errichten, Carusos Stimme ertönen lassen will. Und dahinter ein Regisseur, Autor, Tagebuchschreiber, der, nicht minder radikal, seine Vision heute so beschreibt: "Festgekrallt", "wie bei der irrwitzigen Wut eines Hundes, der sich in das Bein eines bereits toten Rehs verbissen hat."

Dabei und vielleicht auch gerade deshalb sind Herzogs Notizen alles andere als ein "Buch zum Film" geworden. Wer ermessen will, welche Kraftakte, Verzweiflungen, Erregungen, Demütigungen hinter der 1979 begonnenen, bis 1982 währenden Produktionszeit stehen, ist besser mit Les Blanks Dokumentarfilm Burden of Dreams oder Herzogs Kinski-Porträt Mein liebster Feind bedient. Das Buch Eroberung des Nutzlosen hingegen formuliert eher eine Geschichte der spärlichen Freiräume innerhalb und am Rande jener unüberschaubaren Kraftverhältnisse, mit denen sich Werner Herzog bei der Verwirklichung seines Traums konfrontiert sah.

Sprache: Zuflucht Wie sagt er im Gespräch mit dem STANDARD: "Im Grunde genommen war mein Schreiben in der Situation damals, in der ich eigentlich gar keine Zeit für derartige Notizen hatte, eine letzte Zuflucht bei der Sprache. So wie andere Leute um ihr Leben rennen, habe ich ums Leben geschrieben." - Das Ergebnis kommt nahe heran an das, was Herzog einmal über Fitzcarraldos Opernhaus in Manaus notiert: "Schön daran ist, dass ein Fiebertraum zur Realität im Urwald geworden war und sich jetzt in eine schiere Dschungelphantasie zurückverwandelt."

Und in dieser Phantasie erscheint irgendwo am Rande etwa der greise Monumentalregisseur Abel Gance und ersucht Herzog, sein 15-teiliges Drehbuch über Columbus zu verfilmen. Mick Jagger, ursprünglich mit einer Hauptrolle bedacht, fotografiert Jerry Hall im Urwald. Eine riesige Boa Constrictor verkümmert in einem kleinen Käfig. Telefonverbindungen reißen ab, Baupläne müssen verworfen werden, Gerüchte über ausgebeutete Indianer machen Herzog zum Lieblingsfeind der Medien, und wieder: "Zentnerlasten auf mir, es ist alles zu sehr strapaziert."

Wie hypnotisiert scheint der Erzähler mitunter vor dem Übermaß der Außenreize und Überforderungen, und doch weist er auch heute von sich, dass er die Anstrengung mit allen Mitteln gesucht hätte: "Die Geschichte hat das verlangt, und natürlich musste ich ablehnen, dass man in irgendeinem botanischen Garten ein kleines Schiffsmodell abfilmt. Es ging ja gerade darum, dass das Kinopublikum auf eine Situation zurückgebracht wird, in der es seinen Augen wieder trauen kann. So wie bei den frühen Lumières, die den Zug, wie er in den Bahnhof einfährt, filmten, und die Leute sind dann im Kino im Deckung gegangen. Sie haben einfach ihren Augen getraut. Das gibt es im Kino zwischen all den Spezialeffekten heute kaum noch."

Keine Wahl

Gut, aber wiegt dieser Zugewinn an Realismus die Leiden, Unfälle und Katastrophen auf, die das Fitzcarraldo-Set immer wieder heimsuchten? Herzog: "Klar hat man mich, als einmal alles zusammengebrochen war, gefragt, ob ich noch den Nerv habe, weiterzumachen. Ich sagte: Da gibt es keine Wahl. Weil ich sonst ein Mensch wäre, der keine Träume mehr hätte. Und das wollte ich nicht sein." Mit den Unglücken, die mit der Verwirklichung seiner Träume einhergingen, müsse er bis heute leben. "Dazu nur so viel: Es ist nicht einfach."

Als wollte er dann die Absurdität seiner "Eroberungen des Nutzlosen" noch einmal unterstreichen, sagt Werner Herzog über seine Notizen, für die "eigentlich gar keine Zeit war und die wortwörtlich nebenher entstanden": "Ich bin fest überzeugt, dass die Sachen, die ich geschrieben habe, meine Filme überleben werden." So weit würden Fans von Herzog-Filmen wie Stroszek oder Nosferatu oder Aguirre wahrscheinlich nicht gehen. In der Tat könnte man aber auch sein frühes Tagebuch Vom Gehen im Eis (dessen Neuauflage überfällig wäre), um den Literaten Herzog angemessen zu würdigen.

In den besten Passagen erinnert Eroberung des Nutzlosen (erschienen übrigens bei Hanser) auch an die flirrend knappe Prosa Joseph Conrads (Herz der Finsternis) - und wie dieser legt Herzog Wert darauf, dass hinter dem Geschriebenen eine konkrete Erfahrung steht, die sich dann freilich wieder ins Fiktive wendet.

Im Epilog berichtet der Schriftsteller dann noch von einer Rückkehr in den peruanischen Dschungel, zwanzig Jahre später: "Von unseren beiden Camps fand ich keine Spur, auch nach genauem Suchen nichts, kein Nagel, kein Pfosten, nicht einmal die Spur, wo einmal ein Pfosten gewesen sein könnte. (...) Nur der Urwald, wenn man wusste, wo wir das Schiff über den Berg geschleppt hatten, sah leicht heller grün getönt aus als der umliegende Urwald, war aber wieder so hoch gewachsen, wie er vorher war. Es war Mittag und es war still. Ich sah mich um, weil alles so reglos war. Ich erkannte den Urwald als etwas, was mir vertraut war und was in mir war, und ich wusste, dass ich ihn liebte: indes wider mein besseres Wissen ..." (DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2004)