Kultur
Im Geist des jüdischen Großbürgertums
Kein anderes Bundesmuseum besitzt derart viele “arisierte” Kunstwerke wie die Österreichische Galerie: Regelmäßig tauchen neue Fälle auf. Mit dem Fall Jenny Steiner ist auch das Leopold Museum konfrontiert.
Standard-Autor Hubertus Czernin
Bald acht Jahre ist es her, dass Gerbert
Frodl die Direktion der Österreichischen Galerie übernahm. Anlässlich seiner Antritts-Pressekonferenz
im Oktober 1992 hatte der Kunsthistoriker eine klare Vorstellung, welchen Ruf das
Museum haben sollte, wenn er einmal in den Ruhestand treten würde: “Es soll ein repräsentatives
Haus für die österreichische Kunst sein - das nicht nur Touristen, sondern auch alle
Wiener und Österreicher zur Kenntnis nehmen.”
Dieser Wunsch ist dem inzwischen 59-jährigen längst erfüllt worden, allerdings auf
eine für Frodl gar nicht genehme Weise: Das einstige Schloss des Prinzen Eugen von
Savoyen gilt als jenes österreichische Museum, das in fast schon beängstigender Regelmäßigkeit
im Zusammenhang mit fragwürdigen Erwerbungen während und nach der NS-Zeit von sich
reden macht.
Namen wie Bloch-Bauer, Zuckerkandl, Mahler-Werfel und neuerdings auch Jenny Steiner
sind längst Synonyme für “arisierte” Werke, die zwar ein halbes Jahrhundert lang im
Belvedere zu bewundern, aber hinsichtlich des Eigentumsrechtes dort offensichtlich
fehl am Platz waren: Bei fast allen Sitzungen des Beirates gemäß Kunstrückgabegesetz,
der über die späte Restitution “arisierter” oder nach 1945 abgepresster Gemälde und
Objekte zu entscheiden hat, werden Werke der Österreichischen Galerie diskutiert.
Wohl auch, weil der Kunstschatz der Galerie in vielerlei Hinsicht dem Geist der Sammlungen
des jüdischen Großbürgertums entspricht.
Fragwürdige Makarts
Seit zwei Jahren durchforstet die Historikerin Monika Mayer die Inventarbücher
und Akten des Hauses, um Klarheit über das Ausmaß des unredlich erworbenen Bestandes
zu schaffen - und ein Ende des Forschungsprojekts ist noch lange nicht abzusehen.
Allein von den 38 Arbeiten Hans Makarts sind zehn fragwürdiger Herkunft: Sechs Gemälde
waren einst für das Linzer “Führermuseum” bestimmt gewesen und wurden 1963 vom Denkmalamt
dem Belvedere zugewiesen; drei schmückten früher die Heimstätte von Hitlers Außenminister
Joachim von Ribbentrop und wurden 1961 als der Republik verfallenes Eigentum der Galerie
überstellt.
Insgesamt waren damals 100 Werke aus dem Haus Ribbentrop unter den Bundesmuseen aufgeteilt
worden. Auch von den 13 Ölbildern des Landschaftsmalers Friedrich Loos ist fast die
Hälfte zweifelhafter Herkunft. Zumindest bei vier Loos-Gemälden lässt sich der letzte
Vorbesitzer nennen: Martin Bormann, Leiter der Reichskanzlei.
Nicht viel anders sieht es bei der Waldmüller-Sammlung des Belvederes aus, in der
eine Reihe von Arbeiten zu finden sind, die einst den jüdischen Brüdern Gottfried
und Hermann Eissler gehört haben. Zu diesen zählen auch jene zweieinhalb Meter hohe
Ladenschilde “Hygieia”, “Hippokrates”, “Galen” und “Flora”,
die Waldmüller 1826 im Auftrag eines Apothekers gemalt hatte. Diese wurden 1963 vom
Denkmalamt der Galerie zugewiesen. Ihr Zwischenbesitzer: Das “Führermuseum”.
Ebenso fragwürdig erscheinen aber auch andere Waldmüller-Ankäufe während der NS-Zeit,
so etwa zweier 1835 entstandener Porträts des Ehepaars Johann und Magdalena Werner,
die bis zum “Anschluss” der Familie Löw-Felsövanyi gehört hatten.
Im Brennpunkt des öffentlichen Interesses stehen aber bisher 32 Gemälde, über die
Frodl im Jahr seines Amtsantrittes ein Büchlein veröffentlicht hat: “Gustav Klimt
in der Österreichischen Galerie in Wien”. Vor allem jene Gemälde, die über Klimts
Sohn Gustav Ucicky, Regisseur mehrerer NS-Propagandafilme, in den Besitz des Museums
gekommen sind, benötigen einen Unbedenklichkeitsnachweis: “Bildnis einer Dame” (1898/99)
und “Bauernhaus mit Birken” (1900) aus der Sammlung Lasus-Danilowatz.
Immer wieder Klimt
Auch das “Damenbildnis in Weiß”, 1948 von der Galerie Welz um 4.000 Schilling
erworben, verlangt nach Aufklärung. Friedrich Welz war Kunsteinkäufer für die NS-Prominenz
und hatte die Galerie Würthle “arisiert”. Zudem war er ein Handelspartner der Österreichischen
Galerie während der NS-Zeit.
Seit den Auseinandersetzungen über jene fünf Klimt-Gemälde aus der Sammlung Bloch-Bauer,
über deren Verbleib nun möglicherweise ein US-Gericht entscheiden wird, musste sich
Monika Mayer inzwischen mit der Geschichte weiterer Bilder des Secessionsgründers
befassen. So etwa schloss sie erst kürzlich einen Bericht über das um 1914 entstandene
Gemälde “Landhaus am Attersee” ab, das bis 1938 Eigentum der Familie Steiner
war und 1940 im Dorotheum versteigert wurde.
Der Fall Zuckerkandl
Zudem hat Mayer ihren Bericht über die Herkunft von zwei weiteren Klimt-Bildern
fertiggestellt: Das Porträt “Amalie Zuckerkandl”, das die Kunsthändlerin Vita
Künstler 1988 dem Museum geschenkt hat, und “Apfelbaum II”. Beide hatten einst
der Sammlerdynastie Zuckerkandl gehört: das Porträt der Porträtierten und “Apfelbaum II”
deren Tochter Nora Stiasny.
Mutter und Tochter wurden 1942 deportiert und kamen mutmaßlich im KZ Belzec ums Leben.
Amalie Zuckerkandl hatte ihr Bildnis in den 20er-Jahren an Ferdinand Bloch-Bauer verkauft,
in dessen Wohnung es nach dem “Anschluss” von den NS-Behörden inventarisiert wurde.
Im Sicherstellungsbescheid von 1939 für die Sammlung wurde das Porträt allerdings - wie auch zwei weitere Klimt-Werke - nicht mehr angeführt.
Erst neun Jahre später taucht das Bild wieder auf - bei einer Ausstellung in der
Akademie der bildenden Künste mit dem Eigentumsvermerk “Neue Galerie”. Diese gehörte
damals Vita Künstler, die 1938 die Kunsthandlung von Otto Kallir-Nirenstein übernommen
hatte. In der offiziellen Provenienz heißt es, dass Frau Künstler während der NS-Zeit
das Gemälde von Amalie Zuckerkandls zweiter Tochter Hermine Müller-Hoffmann erworben
habe. Nur: Das würde bedeuten, dass Ferdinand Bloch-Bauer aus dem Exil veranlasst
haben müsste, das Porträt Hermine Müller-Hoffmann zu übergeben - zu einem Zeitpunkt,
als er keinen Zugriff mehr auf seine Sammlung hatte.
Dies lässt sich aber, wie auch Monika Mayer festhält, nicht belegen. Die hoch in
den 90ern stehende “Mini” Müller-Hoffmann selbst hat im Juni 1999 Unterschiedliches
erklärt. Gegenüber Frodl sagte sie, sie könne sich weder “an den Zeitpunkt der Übergabe
erinnern” noch daran, wer ihr das Bild übergaben habe: Es sei “lang” bei ihr gewesen
und dann von Vita Künstler erworben worden.
Gegenüber dem Anwalt der Bloch-Bauer-Erben wiederum erklärte sie, sich nicht erinnern
zu können, das Porträt während des Krieges besessen zu haben. Ebenso wenig wüsste
sie, wie es in den Besitz der Galeristin gekommen sei. Um den Fall noch mehr zu verwirren,
stützt hingegen die mit Vita Künstler befreundete langjährige Vizedirektorin der Albertina,
Alice Strobl, die Variante des unbedenklichen Ankaufes. Monika Mayer, die sich an
Akten orientiert, enthält sich aber in ihrem Bericht an den Beirat jeder Wertung.
Nicht ganz so kompliziert ist die Rekonstruktion der NS-Geschichte von “Apfelbaum II”,
der - auch wenn er bisher der Sammlung Lederer zugeordnet wurde - “Mini” Müller-Hoffmanns
Schwester Nora Stiasny gehört hatte und 1961 nach dem Tod des NS-Filmregisseurs Gustav
Ucicky ins Eigentum der Österreichischen Galerie überging.
Ucicky hatte das Bild 1939 von einem Wiener Kaufmann erworben, der es seinerseits
kurz zuvor um einen Bruchteil des Schätzpreises von Nora Stiasny “gekauft” hatte.
Nach Ansicht von Monika Mayer fällt dieser Fall eindeutig unter Paragraph 1 des Kunstrückgabegesetzes
von 1998: Dieser bezieht sich u.a. auch auf solche Kunstgegenstände, die zwar rechtmäßig
in das Eigentum des Bundes übergegangen sind, jedoch zuvor Gegenstand eines Rechtsgeschäftes
während der deutschen Besetzung Österreichs war.