Christine Schatz aus Colombo

Foto: M.Cremer

derStandard.at-Redakteurin Christine Schatz schildert ihre Eindrücke von der Katastrophe. Gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrem Mann, dem Kabarettisten Dirk Stermann, urlaubte sie in Negombo, Sri Lanka.

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Es ist der 29. Dezember, ich sitze in der Lobby des Hotels "Taj Samudra" im Zentrum von Colombo. Hinter mir klassische Musik, eine Singhalesin in blauem Sari spielt Chopin und Mozart. Es wimmelt von Journalisten mit geschulterten Kameras, in- und ausländischen Hotelgästen, immer mehr Hilfskräften und mittendrin Flutopfer, zumeist Touristen, in Badesachen oder auch nur mit Handtüchern um die Hüften geschlungen, barfuss. Ein beherzter belgischer Diplomat hat einen Großteil von ihnen alle im Süden von Sri Lanka vor zwei Tagen aufgelesen, in einen Bus gesetzt und hierher ins Hotel gebracht. Sie schlafen hier in einer großen Halle des Luxushotels auf Matratzen, tagsüber versuchen sie Kontakt mit Botschaften und Fluglinien aufzunehmen.

26. Dezember: Ein wunderbarer sonniger Morgen, das Hotel in Negombo ist ausgebucht, Schnattern am Frühstücksbuffet, viele Engländer, einige Deutsche, Holländer. Am Strand wird die schwarze Flagge gehisst, was vor einem Bad im Meer warnt, – die Wellen nicht höher als sonst, viele Kraken spazieren am Strand, auch Touristen, Fischerboote, – und das Meer schaukelt in gewaltiger Sanftheit. Gegen elf Uhr Ortszeit zieht es sich enorm weit in sich zurück. Wie in einer holländischen Dünenlandschaft waten wir hinein in den frischen nassen Strand, bis uns ein Hotelangestellter aufgeregt zurückruft. Wir folgen und können die langsam um sich greifende Aufgeregtheit noch nicht deuten. Die Sonne scheint barmherzig. Plötzlich schafft sich das Meer innerhalb von Minuten Raum und überwindet innerhalb von Minuten mindestens hundert Meter, das Wasser schwappt über die Stämme von Palmen und das Wurzelwerk von Büschen. Eiligst räumen alle die Liegen weg, der Hotelmanager empfiehlt uns in den ersten Stock zu gehen. Es ist dann etwa zwei Uhr, als uns gesagt wird, dass wir zu einem sicheren Ort gebracht werden würden.

Wir packen Dokumente, Geld und Medikamente und gehen in der Mittagshitze zur Kirche in Negombo. Dort wird dann Schritt für Schritt ein Schlaflager auf Strandliegen, Matratzen und Badetüchern errichtet, es ist schwül. Noch immer gibt es keine gesicherten Nachrichten, das Hotelpersonal kümmert sich mit Lunchpaketen und Wasser um uns, fortwährend heißt es "We' ll wait". Dann die ersten Gerüchte über die Flutwelle, die großen Schaden im Süden des Landes angerichtet haben soll, ausgelöst durch ein Erdbeben in Indonesien, die Malediven unter Wasser. Kurz darauf wird dies vom Hotelpersonal bestätigt, man spricht von Hunderten Toten.

27. Dezember: Am Morgen geht es zurück ins Hotel. Wir sind verunsichert und sehen die ersten Fernsehbilder indischer TV-Stationen. Telefonieren, faxen unmöglich, Internet ist nicht zu benutzen, englischsprachige Sender sind nicht zu empfangen, die einzige Information sind SMS, die aus England und Deutschland auf privaten Handys einlangen. Wir haben die unsrigen zu Hause gelassen – Urlaub ... Auch der Wissensstand des Personals beschränkt sich größtenteils auf Fernsehen und Radio, eine erste Angestellte eines Reiseveranstalters trifft ein und versammelt ihre Kunden, sie werden ausgeflogen.

Am Nachmittag heißt es abermals Evakuierung, ein Hurrican droht, es wird uns nun doch recht mulmig. Bepackt mit den nötigsten Sachen, Kopfkissen und Leintüchern werden wir mit Kleinbussen weiter ins Land gebracht, diesmal in eine Volksschule. Nach zwei Stunden gibt es jedoch Entwarnung, wir fahren wieder zurück ins Hotel. Weiterhin warten wir auf Nachrichten der deutschen oder österreichischen Botschaft über Reiseveranstalter, TV oder durch Hörensagen. Dann ein Aushang für Briten, Kanadier und Holländer, die laut ihrer Vertretungen das Land verlassen müssen, deren Reiseveranstalter tauchen dann nach und nach auf.

Weiterhin keine Nachrichten, keine Möglichkeit zu telefonieren. Aus dem Hotel wagen wir uns nicht aus Angst vor der nächsten Evakuierung. In dieser Situation erstaunlich vor allem das Hotelpersonal, das sich hingebungsvoll um jeden von uns kümmert, für alle Sorgen ein offenes Ohr hat. Wir beschließen, dass wir uns selbst entscheiden müssen, ob wir das Land verlassen oder hier bleiben und die geplante Tour ins Landesinnere antreten. Das Chaos am Flughafen malen wir uns aus, die Möglichkeit, Plätze in einer Maschine zu ergattern, scheint uns unmöglich, wir ahnen, wie viele Touristen ausgeflogen werden möchten oder viel mehr müssen. Stündlich steigen die Zahlen der Toten, der Vermissten, – für uns keine Nachrichten von offiziellen Stellen, keine Empfehlungen. Endlich dürfen wir ein kurzes Telefonat mit unseren Eltern führen, ich schicke außerdem ein Fax an die Redaktion.

28. Dezember: Mittlerweilen haben alle Kontakt mit ihren Reiseveranstaltern, keiner garantiert einen Platz in einer Maschine retour nach Europa. Wie auch, es gibt wirklich Betroffene, – einige davon treffen am Dienstag Morgen im Hotel ein. In Badekleidung, barfuss, gefasst im Schock. Sie werden mit Kleidung und Frühstück versorgt und sitzen ratlos in der Lobby des Hotels in Negombo. Daneben Gespräche der Hotelgäste über Unfähigkeit von Reiseveranstaltern und Botschaften, Klagen über die mangelnde Nachrichtenlage und Fragen zur Rückerstattung wegen "entgangener Urlaubsfreuden". Auf der Bar liegen nun Stöße von Kleidung, einen Teil haben die Urlaubenden zur Verfügung gestellt in der Hoffnung, spätestens am nächsten Tag im Flieger Richtung Heimat zu sitzen.

Das Wetter ist grimmig, die Wellen peitschen, es regnet bis spät in den Abend. Wir beratschlagen über organisatorische und moralische Fragen, weiterhin im Land zu bleiben und mehr oder weniger Urlaub zu machen und dem Chaos im Süden und auf dem Flughafen auszuweichen und entscheiden uns, am Mittwoch ins Landesinnere zu fahren. Das Hotel in Negombo ist fast leer, nur zwei deutsche Gäste werden bleiben. Die evakuierten Menschen aus dem Süden wurden zum Flughafen gebracht.

29. Dezember: Nach den heutigen Bildern von CNN und Sky Europe bleibe ich hier in Colombo zurück in völliger Verständnislosigkeit darüber, dass internationale Hilfe für die einheimische Bevölkerung nicht schneller greift, wir haben deren Hilfe in größtmöglicher Umsicht erfahren. So sagte am Strand ein Fischer gestern zu uns: "I have lost my boat, I have lost my house, – can I help you?"