Die estnischen Politiker nahmen offenbar an, das von Fischer vorgeschlagene EU-weite Türkei-Referendum solle in näherer Zukunft stattfinden und damit kurz nach dem Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs vom 17. Dezember, im nächsten Jahr Verhandlungen mit Ankara aufzunehmen. Forst-Battaglia stellte in seinem Artikel nun klar, dass die Volksabstimmung nach dem Vorschlag des Bundespräsidenten erst nach dem abgeschlossenen Beitrittsprozess abgehalten werden sollte.
Nachdem Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) eine Volksabstimmung in Österreich zu diesem Thema angekündigt hatte, erklärte Fischer in einem Interview mit der APA am 19. Dezember: "Der Beitritt der Türkei zur EU ist eine Frage, die für Österreich und für die gesamte EU von Bedeutung ist. Daher wäre es sinnvoll, wenn sich die österreichische Bevölkerung an einer gesamteuropäischen Volksabstimmung beteiligen könnte. Dann gäbe es eine demokratische Entscheidung, ob es in Europa eine Mehrheit für einen EU-Beitritt der Türkei gibt oder nicht - und zwar durch ein Referendum über ein konkretes Verhandlungsergebnis."
Opposition und Regierungsparteien in Estland sind sich einig, dass es zum jetzigen Zeitpunkt kein Referendum über die mögliche Erweiterung der EU um die Türkei geben soll. Wie Botschafter Forst-Battaglia am Donnerstag gegenüber der APA sagte, sei auch nur eine Minderheit der estnischen Politiker für einen Volksentscheid NACH einem Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, zu dem es in etwa zehn Jahren kommen könnte.
Estland stehe dem EU-Beitritt der Türkei grundsätzlich positiv gegenüber, so der Diplomat. Durch die gemeinsame NATO-Mitgliedschaft habe Tallinn eine andere Sicht auf Ankara als Wien; eine Einwanderungswelle von Türken befürchte man nicht, unterstrich Forst-Battaglia.
Kurz vor Weihnachten hatte "Postimees" unter dem Titel "Estnische Politiker wollen die Türkei ohne Volksentscheid in die EU hineinlassen" die Stimmen nationaler und europäischer Parlamentarier aus Estland gebracht. Der Vorschlag aus Österreich sei nicht gut durchdacht, wurde der Europaabgeordnete Tunne Kelam (EVP) zitiert. Die Idee stehe dem Prinzip entgegen, wonach alle Mitgliedstaaten souverän seien und selbst entscheiden könnten, wann sie ein Referendum abhalten.
Jaak Allik, stellvertretender Fraktionschef der ländlich-konservativen Volksunion im Parlament, sagte demnach: "Es ist nicht sicher, ob die Esten heute in der EU wären, wenn es vorher dazu ein Referendum in den Mitgliedstaaten gegeben hätte." Allein die Volksvertreter sollten daher in der "Türkei-Frage" entscheiden. In einer derartigen Abstimmung werde die Haltung eines Volkes gegenüber einem anderen Volk gemessen werde, warnte er.