Nürnberg - Der Winteranfang und die Vorboten der Hartz-IV-Reform haben die Arbeitslosigkeit in Deutschland zum Jahreswechsel 2004/2005 auf den höchsten Stand seit sieben Jahren getrieben. Nach Angaben der deutschen Bundesagentur für Arbeit (BA) ist die Zahl der Arbeitslosen im Dezember auf 4,464.200 gestiegen. Dies war der höchste Stand seit 1997. Berücksichtigt man noch die nicht mehr erfassten Teilnehmer an Trainingsmaßnahmen (Kurse, Stiftungen), erreichte die deutsche Arbeitslosigkeit sogar den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. In Ostdeutschland liegt die Arbeitslosenrate mehr als doppelt so hoch wie im Westen.

Der deutsche Arbeitsmarkt hat damit 2004 sein schwärzestes Jahr seit der Wiedervereinigung verbucht. Mit einer nachhaltigen Trendwende rechnet Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) nun erst im Jahr 2006.

Arbeitslosenquote bei 10,8 Prozent

Im Dezember sei die Zahl der Arbeitslosen um 206.900 auf 4,464 Millionen gestiegen, teilte die Bundesagentur für Arbeit am Dienstag in Nürnberg mit. Das seien bei einer Arbeitslosenquote von 10,8 Prozent rund 149.000 mehr gewesen als vor einem Jahr. Im Jahresdurchschnitt 2004 seien mit 4,381 Millionen rund 4.300 Menschen mehr arbeitslos gewesen als 2003.

BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt räumte aber ein, dass der Durchschnitt um 93.000 Erwerbslose höher läge, wenn wie in den Vorjahren Teilnehmer an Trainingsmaßnahmen als arbeitslos gezählt würden. Damit läge der Jahresdurchschnitt auf dem höchsten Stand seit der Wiedervereinigung.

Saisonbereinigt setzte sich die negative Entwicklung am Arbeitsmarkt mit einem Anstieg um 17.000 Arbeitslose im Monatsvergleich fort. Überraschend benötigt die BA für 2004 eine Milliarde Euro weniger Zuschuss als eingeplant. Sie begründete dies mit Einsparungen und unerwarteten Einnahmen im Dezember.

Clement: 2005 noch keine Entlastung

Minister Clement zufolge wird es auch im neuen Jahr noch keine spürbare Belebung geben. "Eine kräftige und nachhaltige Trendwende für den Arbeitsmarkt erwarte ich erst 2006", sagte der Minister in Köln. Im Jänner vorigen Jahres hatte Clement noch einen echten Durchbruch schon 2005 in Aussicht gestellt. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt erklärte, ein Ende der Durststrecke auf dem Arbeitsmarkt sei noch nicht erkennbar. Alt versicherte, die Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen werde aus heutiger Sicht auch im Jänner oder Februar nicht erreicht.

Den Anstieg der Arbeitslosigkeit im Dezember führte die BA vor allem auf die Winterpause zurück. Es zeigten sich auch die "Vorboten der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe" im Rahmen der Hartz-IV-Reform, sagte Alt. Es hätten sich 11.800 mehr Sozialhilfeempfänger arbeitslos gemeldet als im Dezember 2003. Etwa die Hälfte des saisonbereinigten Anstiegs sei auf diesen Effekt zurückzuführen, der sich im Jänner fortsetzen werde. Nach früheren Schätzungen der BA könnten 300.000 bis 400.000 Sozialhilfeempfänger neu in der Statistik auftauchen, um ihren Anspruch auf das neue Arbeitslosengeld II zu sichern, das seit Jahresanfang die Arbeitslosen- und Sozialhilfe ersetzt.

Laut BA-Vorstandschef Frank-Jürgen Weise tauchten in der jüngsten Statistik bereits rund 27.000 erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger auf, die sich auf Anraten der Sozialbehörde arbeitslos gemeldet hätten. Möglicherweise seien es aber noch viel mehr. Von vielen, die sich neu arbeitslos gemeldet haben, wisse man gar nicht, ob sie bisher von Sozialhilfe gelebt haben.

Ferner hat sich nach Weises Einschätzung die einsetzende Winterpause in der hohen Dezember-Arbeitslosigkeit niedergeschlagen. Auf dem Bau, der Landwirtschaft, dem Gartenbau und in der Gastronomie trennten sich Betriebe zum Winteranfang von überzähligem Personal. Aber auch nach Abzug solcher Saisoneffekte sei die Arbeitslosigkeit im Dezember um rund 17.000 gestiegen. Dies zeige, "dass die wirtschaftliche Belebung noch nicht kräftig genug ist, um den Arbeitsmarkt grundlegend zu verbessern", sagte Weise.

Mehr Erwerbstätige

Die Zahl der Erwerbstätigen ist in Deutschland aber erstmals seit Jahren gestiegen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag sie mit 38,44 Millionen im Jahresdurchschnitt um 128.000 oder 0,3 Prozent höher als 2003. Der Zuwachs ist nach BA-Einschätzung nahezu ausschließlich auf die Entstehung neuer Mini-Jobs und die Förderung von Existenzgründungen zurückzuführen.

Wie es im Jahresbericht der Bundesanstalt für Arbeit heute weiter heißt, wäre die Arbeitslosigkeit demnach ohne den Einsatz arbeitsmarkpolitischer Instrumente 2004 noch deutlicher angestiegen. Hier griffen vor allem die mit den bisherigen Hartz-Reformen eingeführten Angebote wie Personal-Service-Agenturen oder Ich-AGs.

Kluft zwischen West und Ost

Unverändert bleibt die Kluft zwischen den Arbeitsmärkten in West- und Ostdeutschland. In Westdeutschland waren Ende des vergangenen Jahres 2,860.300 Männer und Frauen ohne Beschäftigung. Das waren 133.400 mehr als im November 2004 und 110.000 mehr als im Dezember 2003. In Ostdeutschland gab es zum Jahresende 1,603.900 Arbeitslose, 73.500 mehr als im Vormonat und 39.200 mehr als im Vorjahresmonat.

Die Arbeitslosenquote lag im Westen bei 8,7 Prozent, im Osten bei 18,5 Prozent.

Analysten werteten die neuen Zahlen als Beleg dafür, dass das Wirtschaftswachstum noch nicht ausreiche, um neue Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Mit einer Trendwende sei in den kommenden Monaten nicht zu rechnen. (APA/dpa/Reuters/AP)