Erst Mitte der 70er-Jahre hat Bulgariens erster Jazzmusiker von internationaler Reputation Wien selbst gesehen, wobei er - als Sideman des jungen Schlagzeugvirtuosen Billy Cobham - bereits aus westlicher Richtung anreiste: War doch dem suchenden, unruhigen Geist Bulgarien inzwischen zu eng und Los Angeles eine neue Heimat geworden.
"Die Kommunisten waren zuweilen paranoid", so Leviev über den Grund der Emigration, "als Leiter der Bigband von Radio Sofia wurde ich eines Tages zum Rundfunkdirektor gerufen. Ein Mann aus dem Zentralkomitee der KP war dort und sagte: 'Sie müssen die Bossa novas aus dem Repertoire nehmen! Dahinter steckt die CIA: Sie schickte Stan Getz nach Brasilien, um den Bossa nova zu holen und damit den Cha-Cha-Cha unserer kubanischen Genossen zu boykottieren.'"
Levievs Experimente mit den vertrackten Rhythmen bulgarischer Volksmusik waren es, die ihm - neben seiner kraftvollen, virtuosen Pianistik - den Weg in die USA ebneten: Don Ellis, der innovative Orchesterleiter und (Viertelton-)Trompeter, der Elektronik ebenso einbezog wie impressionistische Klangfarben und indische Talas, holte ihn 1971 nach Kalifornien - wo Leviev als Komponist, Arrangeur und Keyboarder legendär-verrückte Alben wie Tears of Joy mitprägte.
Offenheit des Genies
"Ellis war ein in alle Richtungen offenes Genie, das unmögliche Dinge vollbrachte", so Leviev heute. "Es ist tragisch, dass er so früh starb. Gerade in einer mehr von Anpassung als Risiko bestimmten Jazzgegenwart wäre seine Stimme wichtig gewesen."
Bulgarien behielt Leviev, der auch für Manhattan Transfer und Al Jarreau arrangierte, im Blickpunkt. "1989 war natürlich der Erwartungsdruck groß - viele fragten, ob ich wieder zurückgehen würde. Man wollte mich sogar zum Kulturattaché ernennen. Ich lehnte ab. Ich hatte einfach keine Lust, noch einmal von vorn anzufangen."
Die Situation für Kulturschaffende in seiner Hei- mat sei vor allem Mitte der Neunziger schwierig gewesen. ",Wir sind frei, aber was essen wir?', hieß es damals", sagt Leviev, der heute jährlich Meisterklassen an der Universität in Sofia abhält. "Seit etwa vier Jahren bessert sich die wirtschaftliche Situation langsam. Die Jazzszene ist groß: Es gibt tausende Musiker, auch wenn kaum einer davon leben kann."
Tatsächlich muss man sich um die Nachfolger von Milcho Leviev keine Sorgen machen. Gerade der bulgarische Jazz hat etwa mit Kaval-Virtuose Theodosii Spassov und Saxofonist Anatoly Vapirov, der auch das bedeutende Jazzfestival in Varna leitet, klingende Namen hervorgebracht: Musiker, die samt und sonders in Wien zu hören sein werden und die sich in ihren individuellen Annäherungen an die Volksmusik ihrer Heimat oft auf Fundamenten bewegen, die Leviev einst gelegt hat.