Pianist Milcho Leviev (hier auf dem Cover von "Man from Plovdiv"): Gewann schon Preise, als die heimatliche KP noch über den Bossa nova nachdachte

Foto: Ma Recordi
Wien - Die 67-jährige Pianolegende Milcho Leviev, die am Freitag das einwöchige Bulgarien-Festival im Porgy & Bess eröffnet - mit diesem wird die verdienstvolle Schwerpunktreihe zum osteuropäischen Jazz fortgeführt - erreichte Wien, lange bevor er selbst die Stadt sah. 1959 war es, als seine Toccatina hier im Zuge des als Teil der sozialistischen "Weltfestspiele der Jugend" abgehaltenen Kompositionswettbewerbs den zweiten Preis errang. "Ich war damals noch Student am Konservatorium in Sofia", erinnert sich Leviev. "Die Toccatina war ein kurzes Klavierstück mit Jazzeinflüssen. Ich war sehr stolz über den Preis, immerhin saßen Aram Chatschaturjan und Joseph Marx in der Jury."

Erst Mitte der 70er-Jahre hat Bulgariens erster Jazzmusiker von internationaler Reputation Wien selbst gesehen, wobei er - als Sideman des jungen Schlagzeugvirtuosen Billy Cobham - bereits aus westlicher Richtung anreiste: War doch dem suchenden, unruhigen Geist Bulgarien inzwischen zu eng und Los Angeles eine neue Heimat geworden.

"Die Kommunisten waren zuweilen paranoid", so Leviev über den Grund der Emigration, "als Leiter der Bigband von Radio Sofia wurde ich eines Tages zum Rundfunkdirektor gerufen. Ein Mann aus dem Zentralkomitee der KP war dort und sagte: 'Sie müssen die Bossa novas aus dem Repertoire nehmen! Dahinter steckt die CIA: Sie schickte Stan Getz nach Brasilien, um den Bossa nova zu holen und damit den Cha-Cha-Cha unserer kubanischen Genossen zu boykottieren.'"

Levievs Experimente mit den vertrackten Rhythmen bulgarischer Volksmusik waren es, die ihm - neben seiner kraftvollen, virtuosen Pianistik - den Weg in die USA ebneten: Don Ellis, der innovative Orchesterleiter und (Viertelton-)Trompeter, der Elektronik ebenso einbezog wie impressionistische Klangfarben und indische Talas, holte ihn 1971 nach Kalifornien - wo Leviev als Komponist, Arrangeur und Keyboarder legendär-verrückte Alben wie Tears of Joy mitprägte.

Offenheit des Genies

"Ellis war ein in alle Richtungen offenes Genie, das unmögliche Dinge vollbrachte", so Leviev heute. "Es ist tragisch, dass er so früh starb. Gerade in einer mehr von Anpassung als Risiko bestimmten Jazzgegenwart wäre seine Stimme wichtig gewesen."

Bulgarien behielt Leviev, der auch für Manhattan Transfer und Al Jarreau arrangierte, im Blickpunkt. "1989 war natürlich der Erwartungsdruck groß - viele fragten, ob ich wieder zurückgehen würde. Man wollte mich sogar zum Kulturattaché ernennen. Ich lehnte ab. Ich hatte einfach keine Lust, noch einmal von vorn anzufangen."

Die Situation für Kulturschaffende in seiner Hei- mat sei vor allem Mitte der Neunziger schwierig gewesen. ",Wir sind frei, aber was essen wir?', hieß es damals", sagt Leviev, der heute jährlich Meisterklassen an der Universität in Sofia abhält. "Seit etwa vier Jahren bessert sich die wirtschaftliche Situation langsam. Die Jazzszene ist groß: Es gibt tausende Musiker, auch wenn kaum einer davon leben kann."

Tatsächlich muss man sich um die Nachfolger von Milcho Leviev keine Sorgen machen. Gerade der bulgarische Jazz hat etwa mit Kaval-Virtuose Theodosii Spassov und Saxofonist Anatoly Vapirov, der auch das bedeutende Jazzfestival in Varna leitet, klingende Namen hervorgebracht: Musiker, die samt und sonders in Wien zu hören sein werden und die sich in ihren individuellen Annäherungen an die Volksmusik ihrer Heimat oft auf Fundamenten bewegen, die Leviev einst gelegt hat.

Dessen Inspiration zur Beschäftigung mit den halsbrecherischen Rhythmen kam damals übrigens - vom Jazz: "Dave Brubecks Stücke mit ungeraden Taktarten waren hier ein Anstoß", bekennt er, der sich zu seinen pluralistischen Wurzeln bekennt: "Die Kritiker sollten nicht monieren, dass ich Eklektiker bin, sondern wie gut ich es bin!" (felb/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.1.2005)