Figur und Landschaft im vielfältigen Werk von Willem de Kooning: "Woman on a Sign I" (1967)

Foto: Kunstforum Bank Austria

- der Maler , der Kunstgeschichte gegenüber demonstrativ offen, war selbst höchst einflussreich. in Wien.

Wien - Die Kunstgeschichte, hat Willem de Kooning 1944 festgestellt, ist ein Teller, randvoll mit Buchstabensuppe. Nicht dass man alle Einlagen auslöffeln müsste - im Gegenteil, dem Künstler bleibt die Freiheit, aus beliebigen Buchstaben seine Wörter zu bilden, derart seine Quellen zu wählen. Und Willem de Kooning hat ordentlich zugegriffen und zunächst den Standardwortschatz - Surrealismus, Kubismus, Picasso - zur Verdauung gebracht. Später und dementsprechend reifer hat er dann dem Zufall überlassen, was an Nahrung auf seinen Löffel schwappte: "Ich könnte nahezu in jedem Bildband ein Gemälde finden, das mich ,beeinflusst'."

Heute zählen de Koonings Arbeiten zum Standardrepertoire für jeden, der versucht, der Farbe, dem Malen ein Bild abzuringen. Denn - es hat ja auch er, wie so viele der Großen, "Innovation" von sich gewiesen - Kunstproduktion ist kein Job für Erfinder. Es gilt, Material auf- und durchzuarbeiten, Stoffe zu besetzen, diese zu zerpflügen, umzukrempeln, neu zusammenzusetzen. Auf dass sich vielleicht in einer Abweichung ein Fortschritt zeigt, ein Zufall einen Weg öffnet. Kunstgeschichte dient da als notwendiges Korrektiv, den Ehrgeiz, die Gestaltungswut zu bremsen: "You can put something new in painting, but Rubens is still better than most new paintings." Rubens' Oeuvre hat Folgen gezeitigt. Willem de Koonings Werk ebenso.

Der beachtliche Versuch einer Retrospektive im Kunstforum Bank Austria versammelt eine treffende Auswahl an Zeitgenossen, die de Koonings Bilder bzw. seine Vorschläge zum Umgang mit dem Material weitertreiben oder neu zu deuten versuchten: Gerhard Richter mit expressiver Malerei aus rein ästhetischem Kalkül, David Reeds Spiel mit kühnen Effekten, Brice Mardens meditative Schlingen hin zur völligen Leere oder Sue Williams' gezirkelte Kompositionen aufs Formale reduzierter Gesten.

Robert Zandvliet fordert - als malerischeste der kommentierenden bzw. weiterführenden Positionen - zum unmittelbaren Vergleich mit de Kooning heraus. Das Duell kennt keinen Sieger. Bei aller Nähe wird deutlich, welch unterschiedliche Zutaten und Methoden zu den oberflächlich betrachtet nah verwandten Haltungen führten. Die Wahl der Arbeiten de Koonings selbst wiederum macht deutlich, dass Stil kein Kriterium für Wiedererkennungswert ist und Begriffe wie "Action-Painting" nur höchst grob zu fassen vermögen, was einen ausmacht, der sich wie de Kooning die Freiheit nahm.

Etwa 50 Gemälde und Arbeiten auf Papier sind kein schlechter Querschnitt durch das Oeuvre eines der mittlerweile teuersten und bestgehüteten Künstler des vergangenen Jahrhunderts. Sie machen deutlich, dass de Koonings Action-Painting fern unreflektiert emotional gelenkter Gesten wohl überlegt gesetzt wurde, dass sein Abstrakter Expressionismus periodenweise von figurativen Elementen gebrochen wird.

Spiel mit Tradition

Natürlich hängen Belege seiner Woman-Serien im Kunstforum. Frauen als Motiv - massive Gestalten von einer offensiven Körperlichkeit - sah de Kooning als Referenz an die (europäische) Tradition der Malerei, als immer wiederkehrendes Element, unabhängig von Epoche und Stilfragen. Sie durchziehen sein Oeuvre ebenso wie die klassischen Fragen nach Raum, nach Hell-Dunkel, nach der Befreiung der Farbe von inhaltlicher Befrachtung, der Trennung von Farbe und Form.

Und natürlich werden auch Belege für de Koonings Beschäftigung mit der Landschaft ausgestellt: die Abstract Parkway Landscapes, zeitlos reife, pastose Einsichten in die Umgebung New Yorks, allgemein gültige Interpretationen Long Islands. Zum abschließenden Höhepunkt der Schau zählt Willem de Koonings überraschendes Spätwerk. Er schwenkt noch einmal weg vom Malerischen hin zu sehr freien, lichten Kompositionen einer zurückgenommenen Farbigkeit. Mit bloß wenigen grafischen Elementen umreißt er Räume, deutet Licht- und Klangwelten an - fern von Fleisch, Landschaft, Emotion und Geste. (Markus Mittringer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 1. 2005)