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Ludwig Adamovich (Jahrgang 1932) war von 1984 bis 2003 Präsident des Verfassungsgerichtshofes.

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Standard: Braucht Österreich überhaupt eine neue Verfassung?

Adamovich: Die derzeitige Verfassung hat natürlich deutliche Schwächen. Sie ist undurchschaubar, hat zu viele Ausnahmebestimmungen. Gut wäre es, wenn man sich zu einer neuen Verfassung aufraffen könnte, wirklich zwingend ist es aber nicht.

STANDARD: Fiedler musste sich viel Kritik am autonomen Vorgehen gefallen lassen. War es richtig, mit einen eigenen Entwurf vorzupreschen?

Adamovich: Der Fiedler-Entwurf ist zweifellos mit sehr viel Mühe ausgearbeitet worden, aber natürlich gibt es jede Menge offener Fragen. Es ist ein sehr umfangreiches Papier, das keine Alternativen enthält und offenbar demonstrieren will, wie so etwas aussehen könnte. Wie es mit dem Konsens ausschaut, ist eine zweite Geschichte.

STANDARD: Erfüllt der Fiedler-Entwurf die formalen Voraussetzungen?

Adamovich: Dazu muss man erst wissen, wie die einzelnen Punkte zu verstehen sind, vor allem bei den sozialen Grundrechten. Bei der Kompetenzverteilung gibt es sehr klare und verständliche Vorschläge im Entwurf. Aber es sollte mich sehr wundern, dass das die Länder akzeptieren werden. So wie es ist, halte ich es für ziemlich ausgeschlossen.

STANDARD: Kommt dennoch nach der Kelsen-Verfassung die Fiedler-Verfassung?

Adamovich: Da muss man aufpassen. Das Etikett Hans Kelsen als Schöpfer der Bundesverfassung ist eine unzulässige Vereinfachung. Er hat sicherlich seinen ganz wesentlichen Anteil an der redaktionellen Arbeit gehabt, aber die eigentlichen Triebkräfte sind Köpfe der politischen Parteien gewesen, vor allem Otto Bauer und Ignaz Seipel. Ohne die beiden wäre überhaupt nichts gegangen.

STANDARD: Kann der Text des Staatsgrundgesetzes den Verfassungsrichtern helfen, den schwierigen Spagat zwischen Recht und Politik zu finden?

Adamovich: Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner älteren Judikatur viel mehr als politische Frage bezeichnet, als man das heute tut. Früher war die Linie die, eine politische Frage als nicht justiziabel abzuweisen. Davon ist man stark abgekommen, natürlich nicht ohne Kritik.

STANDARD: Kann man Politik und Recht überhaupt voneinander trennen?

Adamovich: Ja und nein. In der Judikatur kann man es natürlich schon trennen, indem man als zuständiger Gerichtshof sagt, das ist eine politische Frage, in die mische ich mich nicht ein. Letztlich ist eine Verfassung aber nichts anderes als eine in Worte gekleidete Politik. Und bietet daher ein großes Betätigungsfeld für Kontroversen. Das ist für die Verfassungsrichter oft sehr, sehr schwierig.

STANDARD: Wie haben Sie das gehandhabt?

Adamovich: Der Gerichtshof hat spätestens seit 1980 in seiner Grundrechtsjudikatur die frühere Zurückhaltung aufgegeben. Das wurde von vielen Seiten kritisiert, von andern wiederum sehr gelobt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.1.2005)