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Christoph W. Bauer:
"Aufstummen". € 15,90/150 Seiten. Haymon, Innsbruck 2004.

Foto: Archiv
Christoph W. Bauer ist ein junger österreichischer Autor, der in den vergangenen Jahren so ziemlich alles gewonnen hat, was es in diesem Land an Preisen und Stipendien gibt - Reinhart-Priessnitz-Preis 2001, Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2002, Staatsstipendium für Literatur 2004 - um nur die wichtigsten zu nennen. Der Kärntner, geboren 1968, lebt in Innsbruck, hat drei Lyrikbände herausgebracht und jetzt einen Roman mit dem schönen und sehr lyrischen Titel Aufstummen , der mich, etwas zu Unrecht, ich weiß, an Trakl erinnert, an den Vers "aufflattern mit / dunklen Gesichtern die Fledermäuse" (Landschaft, 2. Fassung). Wohl eine frühe Leseerfahrung. Prägend. Wie manches, das uns begegnet im Leben.

Vom Leben und seinen prägenden Erfahrungen erzählt auch Bauer in seinem Roman, als dessen Subtext man zweifellos Handkes Wunschloses Unglück zu lesen hat. Allerdings sind bei Bauer beide Protagonisten, deren wunschlos unglückliche Zweierbeziehung geschildert wird, noch am Leben. Wobei Leben vielleicht übertrieben gesagt ist. Es ist vielmehr ein Existieren, das da beschrieben wird, ein Existieren in eingeübten Formeln und Ritualen, die Sicherheit gewährleisten, die scheinbar gegen die "Angst vor dem Verlassenwerden und die Angst vor dem Verlassen" schützen, aber doch auch Enge bedeuten. Symptomatisch dafür sind schon die Eingangszeilen des Buches: "ICH GEH DANN, STUMMT SIE, Rascheln schlägt ihr entgegen, der FC hat verloren, das weiß er doch schon längst, hat er doch beim Frühstück schon gelesen und ihr, ein Spiel bleibt uns ja noch, anstatt guten Morgen ins Ohr kredenzt, wem uns, wollte sie fragen, las aber in seinen Blicken, dass der Zeitpunkt absolut ungünstig war, jetzt, nach gestriger Schlappe, Gemeinsamkeiten zu diskutieren, oder was davon geblieben war nach beinahe zwanzigjähriger Ehe, sieht ihn über eine Zeitung gebeugt, seine Hände, seinen Rücken, Körperteile eines Mannes, den sie irgendwann zu lieben geglaubt, den sie, dreh dich um, stummt sie, sag was, keine Antwort, nichts."

Wo der Erzähler-Sohn bei Handke jedoch nur ein retrospektiver Chronist ist, ist er bei Bauer ein mitunter am Geschehen beteiligter Beobachter. Er schreibt sich entlang von Bildern, von Fotos und Filmen, deren Schnitttechnik dem Buch seine Struktur gibt. Kunstvolle Cuts kennzeichnen seinen Verlauf, mit Brüchen mitten im Satz und (Pseudo)fortsetzungen im folgenden Absatz oder Kapitel. Kurze Szenen werden geschildert, Mikrosequenzen lose aneinander geheftet. Dabei entsteht ein komplexes Ganzes, das nur scheinbar fragmentarisch ist.

Wie bei Handke begleitet auch bei Bauer die Reflexion über das Erzählen das Erzählen selbst: "Ich-Entwurf, Ich-Bewurf, hat der Schüler gesagt, und malt dann mit dem Zeigefinger ein Fragezeichen ins Klassenzimmer, also hab ich nicht wirklich Besseres zu tun, als in die Wohnung zweier Menschen zu gaffen (...)"

Bauers Sprache entwickelt einen Sog. Schon das Eingangszitat hat dies gezeigt. Er ist ein Sprachkünstler im besten Sinne, hat ein feines Gespür für Wörter und Nuancen. Ein Lyriker, verwachsen mit dem Wurzelwerk der Sprache. Geschickt vermag er die Ebenen zu wechseln, zu switchen zwischen lyrisch-zeitlosem Pathos und prosaisch-zeitgenössischem Slang. Er ist darin wie sein Erzähler: kaum älter als seine Skateboard fahrenden Schüler, aber doch aus anderem Holz geschnitzt. Seltsam alt mitunter, antik geradezu. Auch in dem Lyrikband fontanalia.fragmente, der nur bedingt ein Lyrikband ist und stellenweise an Schrottsche Gelehrtenprosa erinnert. (Aber ohne deren Dünkel!)

Bauers erzählerisches Konzept scheint tragfähig, auch für größere Aufgaben geeignet. "AUFWACHEN. VERSTUMMEN. Hinein in die Angst. Die Angst vor der Konsequenz. Vor der Konsequenz jeden Morgen. Jeden Morgen noch mehr. Auf. Stummen." So das Leitmotiv des Buches, und es mutet etwas seltsam, aber doch auch angenehm versöhnlich an, wenn es am Schluss heißt: "und dass sie ihn immer noch liebt, das weiß ich auch." Bauer hat mit seinem Buch keinen weiteren Anti-Heimatroman oder Anti-Ehe-Roman geschrieben, sondern ein Buch der Skepsis und des Fragens, die auch das eigene Leben mit einschließen, ein reflexives Buch, ein Buch der Genauigkeit und Seele. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.01.2005)