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Jewgenij Kissin

Foto: APA/EPA/URS FLUEELER
Wien - Er ist der Klassenprimus, der Alleskönner; der scheue, erdenferne Herrscher, der kindliche Kaiser im Reich von Ebenholz und Elfenbein. Ein wenig erinnert Jewgenij Kissins Peter-Pan-haftes Wesen und Leben an jenes seines königlichen Pop-Kollegen Jackson: Von großer Scheuheit liest man in Porträts des groß gewordenen Musik-Wunderkinds, und dass er mit seiner Mutter und seiner Klavierlehrerin zusammenlebe, in New York.

Kunstgemäß fußt die Faszination seines Spiels zum einen Teil in einer verblüffenden technischen Sicherheit, die nicht ihresgleichen kennt: Läufe gelingen dem Russen so ebenmäßig, klar und schnell, dass sie an Ketten fallender Dominosteine erinnern; leise Dreiklangszerlegungen glänzen, schimmern - so zart wie Schleier aus Tautropfen. Selbstredend, dass Technik bei ihm nie Selbstzweck ist, sondern immer Dienerin der Musikalität - welche wiederum in einem derart grenzenlosen Spielraum umhertollt, dass ihr, der Technik, gar nichts anderes übrig bleibt, als Höchstdienstleistungen zu vollbringen, um der Herrin denn auch überall dorthin den Weg bereiten zu können, wo diese denn unbedingt hin möchte.

Bei Beethovens Klavierkonzerten - Kissin gab im Musikverein die Nummern zwei, eins und drei - zeichnete der Russe speziell das revolutionäre, wütende, "ich" sagende Moment der Werke lustvoll nach: dumpfen Explosionen gleich die tiefen Oktavpassagen; die zahllosen Akzente wie Ohrfeigen, wie Peitschenhiebe.

Mit hochpräziser Energie wirbelte der 33-Jährige durch den Galanteriewarenladen des zweiten Konzerts, hüpfte, sprang mit scharfer Attacke und Biss durch die Finalteile des ersten wie auch des dritten. Noch Wünsche? Kaum. Ein Riss im Kokon der Perfektion, eine kleine menschliche Blöße in der Unantastbarkeit des Tastengottes, vielleicht? Ach, diese Kritiker.

Unter der kundigen Operndirigentenhand Lawrence Fosters begleiteten die Wiener Symphoniker Kissin mit Eleganz und Vitalität, mit schlanker, tänzerischer Energie wie auch mit Ohrenmaß - es passte kein Blatt zwischen Klavier- und Orchesterpart. Eine Demonstration musikalischer Makellosigkeit. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.1.2005)