Zum Parteienstreit über Wiens Sonderstellung in der Verfassung: Mit seiner Idee, die Bundes- hauptstadt künftig primär als Land und nicht als Gemeinde zu organisieren, habe sich Matthias Tschirf (VP) "gehörig aufs Glatteis begeben", befinden zwei Rathauskollegen (SP).

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Der Österreich-Konvent und seine zehn Ausschüsse haben sich in 18 Monaten sehr intensiv mit praktisch allen Problemen und Fragen der österreichischen Bundesverfassung befasst. In Summe ist das Ergebnis des Konvents eindeutig positiv zu beurteilen. Noch nie seit 1920 lagen so viele konkrete, profunde und zum Teil ausformulierte Vorschläge für eine Weiterentwicklung unserer Bundesverfassung auf dem Tisch, die dem Gesetzgeber eine solide Grundlage für künftige Reformen in die Hand geben.

Der von Wiens ÖVP-Clubobmann Matthias Tschirf war nicht dabei. Denn keinem der vielen Experten im Österreich-Konvent ist es in diesen 18 Monaten ernsthaft in den Sinn gekommen, einen so unausgegorenen Beitrag zu liefern, wie das Tschirf in seinem Standard-Kommentar ("Wien bleibt Wien – leider", 22. 1.) getan hat: Mit seiner Idee, Wien künftig primär als Land und nicht als Gemeinde zu organisieren, hat er sich gehörig aufs Glatteis begeben. Denn seine Vorschläge würden vor allem eines bewirken: Wiens Stellung in unserer Bundesverfassung verschlechtern und – im Vergleich zur gegenwärtigen Organisationsstruktur – weniger demokratische Kontrolle herbeiführen. – Warum? Zum einen werden in Wien, wie es ist, wesentliche Verwaltungsaufgaben durch die Gemeinderatsausschüsse und durch den Gemeinderat vollzogen, was bedeutet, dass in der Bundeshauptstadt nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch die Verwaltung in hohem Maß von direkt-demokratisch legitimierten Organen ausgeübt wird.

Grotesker Vorwurf

Die Gemeindeverwaltung Wiens ist nicht nur historisch gewachsen, sondern – auch durch konsequente Reformen der jüngeren Zeit – in hohem Maße bürgernah. Eine Landesverwaltung, die davon ausgeht, dass es auch noch da^runter liegende Territorialverwaltungen gibt, kann dies in der Regel in diesem Ausmaß nicht gewährleisten.

Eine Umgestaltung "Wiens primär als Land", wie Tschirf das verlangt, hätte weiters die logische Konsequenz, dass dann die Bezirke als autonome Gemeinden eingerichtet werden müssten. Bei aller hohen Wertschätzung unserer Bezirke würde dies aber bedeuten, dass eine gemeinsame Planung und Entwicklung der gesamten Stadt dann nur mehr viel schlechter und unkoordinierter erfolgen könnte. Negative Beispiele anderer europäischer Millionenstädte sollten uns hier eine Lehre sein.

Minderheitsrecht

Zu den im genannten Kommentar auch angesprochenen Kontrollrechten: In Wien ist seit Jahren sowohl im Gemeinderat wie auch im Landtag die Einsetzung von Untersuchungskommissionen bzw. Untersuchungsausschüssen als Minderheitsrecht verankert, während die ÖVP im Nationalrat nach wie vor ein solches Recht strikt verweigert. Auch die Qualität der Arbeit des Kontrollamtes wird von allen Fraktionen im Rathaus regelmäßig gelobt und außerdem noch durch die Kontrolle des Rechnungshofes ergänzt.

Bürgermeister hat "kein eigenes Ressort"

Wenn Tschirf die Tatsache bemängelt, dass der Bürgermeister "kein eigenes Ressort" hat, läuft diese Kritik in Wirklichkeit auf mehr Kontrolle hinaus: Gerade weil der Bürgermeister kein eigenes Ressort hat, kann er umso wirksamer gegenüber den Stadträten und -rätinnen die Rolle des Schiedsrichters und Kontrollors ausüben. Nur mehr als grotesk kann zudem Tschirfs Vorwurf gewertet werden, wonach dem Wiener Bürgermeister mangels eigener Ressortzuständigkeit keine "substanzielle Arbeit"" zukomme.

Wirkungsbereiche

Wahr ist vielmehr: Der Wiener Bürgermeister hat im Bereich der Gemeindeverwaltung eine sehr hohe Arbeitsfülle. Zum einen muss er den ihm übertragenen Wirkungsbereich führen, zum anderen sind ihm die amtsführenden Stadträte, die Bezirksvorsteher und sämtliche Angestellten der Gemeinde Wien und ihre Anstalten untergeordnet. Zudem ist er auch noch Vorsitzender der Landesregierung und als Landeshauptmann Chef der mittelbaren Bundesverwaltung.

"Bürgermeistermonarch"

Es scheint jedenfalls wenig schlüssig, dem "Bürgermeistermonarch" (Tschirf) einerseits eine zu große Machtfülle vorzuwerfen und andererseits zu behaupten, dass mit dieser keine Arbeit verbunden sei. Wien wird ausgezeichnet verwaltet. Das gestehen selbst politische Gegner der Stadtverwaltung zu.

Die Sonderstellung Wiens in unserer Bundesverfassung resultiert schlussendlich auch aus der Tatsache, dass die einzige Millionenstadt der Re^pub^lik gleichzeitig Gemeinde und Bundesland ist. Dies soll in bewährter Weise auch künftig so sein, damit Wien den Herausforderungen der Zukunft in Zentraleuropa bestmöglich gerecht werden kann: Wien ist und bleibt anders. Und das ist gut so.(DER STANDARD Printausgabe 27.1.2005)