Nicht aufbewahren, resozialisieren: neuer OLG-Präsident Alois Jung.

Foto: OLG
Wohngemeinschaften statt überfüllter Zellen für Häftlinge Die Lage in den Gefängnissen sei dramatisch, Resozialisierung nur noch sehr eingeschränkt möglich. Entspannung könnten "Häftlings-WGs" bringen. Für die Bewährungshilfe fordert der neue Präsident des Oberlandesgerichtes Linz, Alois Jung, im STANDARD-Gespräch mehr finanzielle Mittel.

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STANDARD: Die Gefängnisse sind überfüllt, laut dem Justizministerium herrschen eine "labile Lage" und eine steigende Gefahr von Geiselnahmen. Haben Sie da als neuer Präsident des Oberlandesgerichts Salzburg und Oberösterreich und Oberaufseher von sieben Vollzugsanstalten nicht ein sehr schweres Erbe angetreten?

Alois Jung: Dass die Situation in den Haftanstalten sehr schwierig ist, ist seit dem ersten Halbjahr 2004 bekannt. Es war aber trotzdem überraschend für mich, dass sich alles weiter so dramatisch zuspitzte. Ohne Angst zu schüren - die Lage ist tatsächlich sehr ernst.

STANDARD: Was hat Ihrer Meinung nach zu den verschärften Haftbedingungen geführt?

Jung: Dazu beigetragen hat sicher ein hoher Anteil der unbedingten Verurteilungen von Ausländern, weil die Kriminalität in diesem Sektor steigt. Und das Sparprogramm auch im Bereich der Justiz zeigt Wirkung.

STANDARD: Haben nicht auch politisch Verantwortliche erst um fünf nach zwölf den Ernst der Lage erkannt und reagiert?

Jung: Durch Neubau von Haftanstalten hätte sich das Ganze aber sicher etwas abfedern lassen können. Der Strafvollzug ist eine wichtige Maßnahme, und dafür werden auch entsprechend Mittel benötigt.

STANDARD: Von einem Strafvollzug, der eine Resozialisierung zum Ziel hat, kann unter diesen Umständen wohl nicht mehr gesprochen werden, oder?

Jung: Das ist natürlich ein Problem. Zurzeit verwahren wir zu sehr. Wir können uns um den Einzelnen zu wenig kümmern. Der eigentliche Sinn des Vollzugs, die Resozialisierung, ist im Moment etwas eingeschränkt - wir haben insoweit einen Strafvollzug "mit angezogener Handbremse".

STANDARD: Was wäre Ihrer Meinung nach ein Weg aus dieser gefährlichen Misere?

Jung: Wir dürfen unsere Haftanstalten nicht mehr mit Tätern füllen, die nur eine relativ geringe Strafe ausgefasst haben. Dafür muss es verstärkt alternative Unterbringungen geben. In Wels hat sich zum Beispiel das Modell einer eigenständigen Häftlings-Wohngemeinschaft enorm bewährt.

STANDARD: Wie darf man sich eine solche Häftlings-WG vorstellen?

Jung: Maximal 28 Häftlinge bewohnen - völlig abgenabelt von der Justizvollzugsanstalt - unter Aufsicht eine gemeinsame Wohnung. Der Vorteil ist, dass da keiner mehr im klassischen Sinn irgendwo eingesperrt wird und eine intensivere Begleitung möglich ist.

STANDARD: Jüngst wurden die Forderungen nach deutlich mehr bedingten Entlassungen laut. Wie stehen Sie dazu?

Jung: Prinzipiell positiv, da bei einer bedingten Entlassung gleichsam Resozialisierung in Freiheit praktiziert wird. Es ist aber in erster Linie die Sicht der Öffentlichkeit mit zu berücksichtigen und man muss die Entscheidungen zu bedingten Entlassungen transparent und nachvollziehbar gestalten.

STANDARD: Die Bevölkerung wird aber bei aller Transparenz bei einer vorzeitigen Entlassung etwa von Sexualstraftätern wohl zu Recht unruhig werden, oder?

Jung: Man muss der Bevölkerung diese Angst durch eine intensive Behandlung und Betreuung der Straftäter nehmen.

STANDARD: Vereine wie Neustart kritisieren aber, dass lediglich sieben Prozent Bewährungshilfe bekommen, und man müsse um die künftige Klientel werben. Wer beobachtet dann?

Jung: Der Einsatz der Bewährungshilfe muss noch deutlich erhöht werden. Und vor allem sollten mehr Mittel dafür bereitgestellt werden. (DER STANDARD; Printausgabe, 31.1.2005)