Tragöde Antony aus New York verhandelt in der Mitte zwischen pathetischen Offenbarungseiden von Angelo Badalamenti, Nina Simone und Demis Roussos die alte Problematik von Kitsch und Schmerz.

Bild: Secretly Canadian
Der 35-jährige androgyne New Yorker Falsett-Sänger Antony, bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Lou Reed, entwirft mit pathetischen Balladen eine Gänsehaut machende Sicht auf das Leben als Ausgegrenzter.


Wien – "One day I will grow up, I will be a beautiful woman. One day I will grow up, I will be a beautiful girl. But for today I am a child. But for to day I am a boy."

Der in London und Kalifornien aufgewachsene und seit 1990 in New Yorks Downtown-Szene agierende Sänger Antony zeichnet 2005 im Verein mit seiner Begleitband The Johnsons für einen der gleichzeitig traurigsten wie erhebendsten Songs vom Gefangensein in einem falschen Körper in einer falschen Welt im Zeichen eines universellen Gospel verantwortlich, der uns je zu Tränen gerührt hat.

For Today I Am A Boy, enthalten auf seiner neuen Song sammlung, I Am A Bird Now, untermauert auch nachdrücklich, was New Yorker Größen wie Lou Reed oder Laurie Anderson zu den größten Verehrern dieser im Körper eines Footballspielers steckenden, zartbesaiteten Diva mit einer mehrere Oktaven umfassen den Stimme werden ließ.

Antony And The Johnson sorgten schon auf ihrem titellosen Debüt aus 2000 für Auf sehen. Auf dem spannte der heute 35-Jährige einen spektakulären stilistischen Bogen zwischen dem düster-pathetischen Soundtrack-Komponis ten Angelo Bandalamenti (Twin Peaks), der auf reine Sachlichkeit reduzierten Melancholie des rumänischen Geigers Alexander Balanescu und dem klassischem Schmerzensgesang im Stile von so unterschiedlichen Ansätzen wie jenem der Blues- und Soul-Tragödin Nina Simone und dem des schwerge wichtigen griechischen Schla ger-Kaisers Demis Rousssos von Aphrodite's Child. Laurie Anderson 2001 in einem Interview mit der britischen Times: "Musikalisch gesehen ist Antonys Sound wirklich simplizistisch. Er kommt mit drei Streichern, einer Bassgitarre und Schlagzeug aus. Aber wenn man Antonys Stimme hört, glaubt man, das erste Mal mit Elvis in Kontakt zu kommen. Zwei Worte von ihm – und er hat dein Herz für immer gebrochen."

Kunst der Ereiferung

Wie jetzt nach dem kürzlich wiederveröffentlichten Debüt (der Standard berichtete) und Antonys Gastrolle auf Lou Reeds The Raven aus 2003 auch das soeben erschienene neue Album zeigt, haben wir es hier mit tatsächlich atemberaubender wie den Atem raubender Musik zu tun. Das im voluminösen Falsett skandierende Schwergewicht zieht mit Gästen wie besagtem Lou Reed, mit seinem alten Idol Boy George oder mit dem fantastischen neuen Songwriter Rufus Wainwright unter dem künstlerisch nachhaltigen und prägenden Einfluss von Ereiferungs- und Überziehungskaiser Marc Almond (Soft Cell, Marc and The Mambas ...) eine schwere, pathetisch hochgradig aufgeladene Linie zwischen den alten Fixpunkten im Bereich des Tragöden-Pop. Wir haben es hier mit in Moll gegossenem Schmerz, mit Schuld und Sühne, mit Liebe und Verlust – und immer wieder auch mit einer das Herz schier zerreißenden Sehnsucht nach einem Mehr im Leben zu tun, das das übermächtige Wenige aufheben soll.

Mit dem Brustton des Überzeugungstäters geht es bei Antony selbstverständlich immer auch um den Risikofaktor des Kitsches, sowie des Ringens darum, genau in diesem Bereich mit einem waidwunden Herzen trotzdem halbwegs in Würde davonzukommen.

Manche seiner Lieder wie das auf dem Debüt enthaltene Stück Hitler In My Heart ("I've been looking for some kind ness, but I've found Hitler in my heart") mögen in ihrer sich selbst zerfleischenden Offenheit und Schutzlosigkeit zu erst verstören. Wie jetzt aber gerade die vom Ausdruck her wesentlich zurückgenommenen, neuen, pianolastigen Songs beweisen, geht es Antony nicht so sehr um eine bloße Dramatisierung. "I Am A Bird Now" verhandelt auf schmerzvolle Weise nichts weniger als eines: Was heißt es, Mensch zu sein? Noch dazu, wenn dieser ein Ausgegrenzter ist. (DER STANDARD, Printausgabe vom 5./6.2.2005)