Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Echo-Verlag
Es war letzten Donnerstag. Und zunächst fiel mir gar nicht auf, wieso mich das Schauspiel erstaunte. Schließlich wusste ich, wie das Setting rund funktioniert. Damals, vor etlichen –(sind das jetzt wirklich schon zehn?) - Jahren hatten wir in Berlin doch beinahe schon Studien in peto gehabt, wie das Hütchenspiel-Setting aufgebaut ist und funktioniert. Aber irgendwann hatte dann auch der blödeste Passant erkannt, dass er nur verlieren konnte – und so verschwanden die Hütchenspieler bald in jenes Nichts, aus dem sie gekommen waren.

Bis letzten Donnerstag. Da waren sie wieder da. Plötzlich. Am Nachmittag. Mitten auf der Mariahilfer Straße. Wie im Lehrbuch: In der Mitte kniete der Spieler vor seinem Set. Im Rücken hatte er die halbhohe Wand, die den Abgang zur Station Neubaugasse umfriedet: So kann ihn keiner von hinten stören - aber zur Not kann er über die Lüftungsgitter abhauen. Links und rechts je ein Aufpasser. Am Rand des Publikums noch mindestens zwei. In Pfeifdistanz vermutlich noch zwei. Und direkt vor dem Spieler zwei Lockvögel: Er zu tollpatschig, um die absichtlichen Fehler des Spielers zu sehen, sie so hübsch, dass die Männer gerne stehen bleiben um zu sehen, wie sie gewinnt und ihren Freund blamiert. Ein Klassiker.

Lockvogel

Einzig dass der Spieler statt mit drei Bechern auf einem Schemel mit drei Streichholzschachteln auf einer Fußmatte am Boden spielte, war nicht ganz erste Liga. Egal: Rund um die Hütchenpartie hatte sich bereits eine stattliche Menschentraube angesammelt. Und als der Spieler dem Lockvogel mit bösem Knurren einen 100-Euro-Schein aushändigte, ihr verbot weiter zu wetten und die anderer Umstehenden zum Spielen einlud, sah ich, dass P. die Szenerie ebenso fassungslos begaffte wie ich: „Wer da mitmacht, verdient ausgenommen zu werden,“ schnaufte er.

Noch eine Stunde später beschäftigte P. die Hütchenepisode: „Faszinierend, dass da wirklich noch jemand drauf rein fällt. Die Leute haben so dreingeschaut, als hätten sie das noch nie gesehen.“ Dann - plötzlich – strahlte P: „Weißt du, wieso? Sie haben tatsächlich noch nie Hütchenspieler gesehen. Die gab es in Wien bisher nicht: Die interessieren sich nur für echte Großstädte, nicht für die Provinz.“ P. war glücklich: „Vielleicht schafft es Wien ja doch noch.“