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Foto: AP /Douglas Hall, Imperial War Museum

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Skurrile Churchilliana und solide recherchierte Information zu Winston Churchills versammelt das Londoner Museum.

Foto: AP /Douglas Hall, Imperial War Museum
Eines sucht man vergebens im Churchill-Museum: das Tageslicht. Es geht eine Treppe hinab, in einen Keller, in dem es noch vor Kurzem nach dem Aktenstaub des Archivs der Schatzkanzlei roch. Nebenan liegen die Cabinet War Rooms, karge Konferenzzimmer, klaustrophobisch enge Schlafbuchten und schwere Kommunikationstechnik, die in der Ära des Internets anmutet wie ein Relikt aus Urzeiten.

1940 erklärte Winston Spencer Churchill alias WSC das Bunkerlabyrinth zu seiner Schaltzentrale. Fünf Jahre lang tagte sein Kriegskabinett streng geheim unter der Erde, seit 1984 hat auch das Publikum Zutritt, nun erinnert das erste Museum seiner Art an den "Mann mit der großen Zigarre", als den ihn ein populäres Liedchen besang.

Das Bemerkenswerteste an der Ausstellung ist vielleicht, dass es so lange dauerte, bis sie zustande kam. Im Jänner jährte sich Churchills Todestag bereits zum 40. Mal, vor drei Jahren haben ihn seine Landsleute zum größten Briten aller Zeiten gewählt. Wer aber Churchill-"Reliquien" sehen wollte, vom Hosenbandorden bis hin zum Literaturnobelpreis, der musste hinaus nach Chartwell fahren, ins Landhaus des politischen Titanen südlich von London.

Erst jetzt findet sich annähernd alles, was sich an Churchilliana auftreiben lässt, auf engstem Raum wieder. Die legendäre Havanna-Zigarre, die ersten Liebesbriefe an seine Frau Clementine ("My darling Clemmie"), der Einteiler aus dunkelrotem Samt, in den er sich als Kriegspremier oft hineinzwängte. Was die elitäre St. George's School zu Ascot dem pubertären Winston 1883 ins Zeugnis schrieb, kann man originalgetreu nachlesen: "Benehmen schlecht." Und auch seine Schulnoten waren mehr als miserabel.

Eine elektronische Zeittafel lässt das Leben des schillernden Mannes Revue passieren. Der Besucher kann sie per Fingerdruck aufblättern, jahres-, monats-, sogar tageweise. Alle paar Minuten verschwinden ihre Daten in gleißendem Weiß, begleitet von einem dumpfen Knall: die Atombombe, wie sie über Hiroshima explodiert.

"Er war ein Großer, aber niemand ist sein Leben lang groß", sagt Philip Reed, der Direktor der Cabinet War Rooms. Der Mensch Churchill mit all seinen Widersprüchen, das sei der Leitfaden. Dieser Mensch habe auch Fehler gemacht, die zu dokumentieren habe sehr wohl zum Auftrag des Museums gehört.

1910 plädierte er als Innenminister dafür, Truppen gegen streikende Bergleute marschieren zu lassen, wenn auch nur im Notfall. 1920, als Kriegsminister, empfahl er den Einsatz von Giftgas gegen Rebellen im Irak.


We shall not surrender

Nur: "Hätte es Churchill nicht gegeben, würden wir heute vielleicht alle Deutsch sprechen", bringt Reed das Entscheidende knapp auf den Punkt. 1940 habe Churchill praktisch als Einziger gesagt: keine Verhandlungen mit den Nazis, mehr noch, England werde siegen. "We shall never surrender" ("Wir werden uns niemals ergeben") - die Worte hallen als Hintergrundgeräusch durch den Keller.

Wer die Zeittafel unter dem 13. Februar 1945 aufschlägt, sieht das Bild eines qualmenden Trümmerfelds. Dresden nach dem verheerenden britisch-amerikanischen Bombenangriff. Sechs Wochen später, am 28. März, verzeichnet die Chronik einen Befehl Churchills an die Stabschefs seiner Streitkräfte, den Luftkrieg gegen deutsche Städte kritisch zu überdenken. Die Zerstörung Dresdens, schrieb er, hinterlasse gravierende Zweifel an der Art und Weise der alliierten Bombardements. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.02.2005)