Wien - Das Armutsrisiko in Österreich steigt: darauf wiesen am Donnerstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Karl Öllinger, der Sozialsprecher der Grünen, der Politikwissenschaftler Emmerich Talos und Elisabeth Rolzhauser vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) hin. Talos forderte angesichts des aktuellen Sozialberichtes des Sozialministeriums auf, nun nicht zur Tagesordnung überzugehen: "Es besteht Handlungsbedarf". Öllinger wiederholte die Forderung nach einer materiellen Grundsicherung in Österreich.

"Es reicht nicht, Daten auf den Tisch zu bekommen und dann zur Tagesordnung überzugehen", mahnte Talos Maßnahmen zur Armutsvermeidung ein. Talos hält eine Grundsicherung, die 900 Millionen Euro kosten würde, für finanzierbar. Das Verarmungsrisiko wachse - das sei der Befund des aktuellen Berichtes zur sozialen Lage. Im Vergleich zum letzten Armutsbericht seien mehr Menschen von Armut betroffen: mehr als 13 Prozent der gesamten Bevölkerung verfügten über ein Einkommen von unter 785 Euro pro Monat: das seien 1.044.000 Menschen. Betroffene seien Langzeitarbeitslose, Alleinerzieher, Haushalte mit kleinen Kindern, Migranten und allein stehende ältere Menschen.

"Armut oft im Schatten"

Es gehe in Österreich bei den Betroffenen nicht um das nackte Überleben, sondern um "relative Beeinträchtigung und Einschränkung der Teilhabechancen", analysierte der Politologe. Zudem existiere Armut oft im Schatten. Talos rechnete allerdings damit, dass sich an der Verarmung nicht viel ändern werde: atypische Beschäftigungsformen würden voranschreiten, und die aktuelle Gesellschaftspolitik trage wenig zur Armutsvermeidung ein.

Modelle einer Grundsicherung existieren in den Niederlanden, in Schweden, Dänemark und Schweiz. Öllinger befürwortete keinen Systemwechsel. "Es geht darum, das System mit den vorhandenen Möglichkeiten armutsfester zu machen", betonte er. Der Abgeordnete übte auch scharfe Kritik an den anderen Parteien: Das SPÖ-Modell stelle nur auf eine verbesserte Sozialhilfe ab. In der ÖVP habe es zwar Wortmeldungen und Arbeitskreise zum Thema Mindest- oder Existenzsicherung gegeben. Diese hätten sich aber nie durchsetzen können, bedauerte er. Und: "Das Sozialministerium schläft."

"Flexibilität kein leeres Schlagwort"

Die Gewerkschafterin Rolzhauser wies darauf hin, dass an die 800.000 Menschen im vergangenen Jahr mindestens einmal arbeitslos gewesen seien, mehr als eine Million Menschen seien in Österreich atypisch beschäftigt. "Flexibilität ist für die Beschäftigten kein leeres Schlagwort, sondern Realität. Wer nicht flexibel ist, das ist die Regierung", bekrittelte sie den Mangel an Bemühungen, den Sozialstaat an die Veränderungen am Arbeitsmarkt anzupassen. Die Leiterin des ÖGB-Beratungszentrums sprach sich für eine bedarfsorientierte Mindestsicherung und sozialen Schutz für alle atypisch Beschäftigten aus. (APA)