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Brita Neuhold studierte Publizistik und Geschichte und lehrt seit 1986 als Lektorin für Internationalen Feminismus und Internationale Frauenfragen, Entwicklung und Menschenrechte an den Universitäten Wien und Graz. Sie arbeitete viele Jahre als entwicklungs- und frauenpolitische Journalistin sowie als Redakteurin und Pressereferentin bei diversen NGOs und den Vereinten Nationen. Darüber hinaus ist sie als freie Wissenschafterin, Autorin und ständige Mitarbeiterin von WIDE (Netzwerk Women in Development Europe) im Einsatz und nahm an zahlreichen einschlägigen globalen Konferenzen teil, darunter auch an der zweiten und vierten Weltfrauenkonferenz. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen u.a. auf den Leistungen der Internationalen Frauenbewegung und in der genauen Verfolgung des Peking+10-Prozesses in Verbindung mit den Milleniums-Entwicklungszielen (MDGs) .

Vergangenen Montag referierte Brita Neuhold bei der WIDE-Tagung "Wir wollen endlich Taten sehen - Was können Frauen von Beijing+10 und den Millenium-Entwicklungszielen erwarten?". Dort präsentierte sie auch die kürzlich dazu erschienene Studie "Frauenrechte auf dem Prüfstand" (siehe Kasten links).

dieStandard.at: Frau Neuhold, Sie haben bei der Tagung am Montag erwähnt, dass die Voraussetzungen für die Konferenz "Peking+10" entmutigend seien – inwiefern?
Brita Neuhold: Entmutigend ist schon der Rahmen, in dem die Konferenz stattfindet. Waren es früher Weltfrauenkonferenzen, in denen sich diese "Reviews" abspielten, also höchst spannende und aufregende Ereignisse, zu denen Zehntausende von Menschen kamen und die im Blickpunkt der Öffentlichkeit standen, so ist es jetzt eine Routinetagung einer UN Kommission, die fast niemandem bekannt ist und deren Bedeutung außerdem auch innerhalb der UN heruntergespielt wird.

Darüber hinaus hegen NGOs und andere, denen die "Frauensache" am Herzen liegt, zwei Gefahren. Die erste ist die, dass nur unverbindliche schönfärberische Reden geschwungen werden und nicht das starke unverbrüchliche Bekenntnis zur Umsetzung der "Aktionsplattform" kommt, die wir so dringend brauchen. Die zweite ist aber die, dass hinter dieser Fassade die Fronten zwischen "konservativen" und "progressiven" Einstellungen zu Frauen und ihren Rollen in der Gesellschaft noch krasser verhärtet werden, als sich das schon bei Peking+5 in New York im Jahr 2000, abzeichnete.

Die Situation wird ungleich dadurch verschärft, dass die USA jetzt das fundamentalistische Lager verstärken und in der Frage der sexuellen und reproduktiven Rechte, aber auch in Fragen zu Gewalt und zur Stellung der Frau in der Familie eine Position einnehmen, die uns alle um zumindest Jahrzehnte zurückwirft. Dies kann dazu führen, dass die als Idee im Raum schwebende "Politische Erklärung", die am Schluss abgegeben werden soll, entweder nicht zustande kommt, was eine Katastrophe wäre, weil wir da gar nichts "in der Hand hätten", oder so verwässert wird, dass wir auch nichts damit anfangen können. Also, es gibt wirklich genug, was uns Sorgen macht.

dieStandard.at: Was darf frau sich von der Konferenz erwarten? Welchen Outcome erhoffen Sie?
Brita Neuhold: Von vornherein können wir uns eben keine allzu großen Hoffnungen machen. Trotzdem wünschen wir uns eine starke Willenserklärung von Seiten der EU zur Umsetzung der Aktionsplattform und ein nachdrückliches Bekenntnis zu den Rechten von Frauen, nicht nur zu den repoduktiven Rechten und zu dem Recht, vor Gewalt geschützt zu werden, sondern auch zu den wirtschaftlichen und sozialen Rechten, die in Zeiten der neoliberalen Globalisierung immer mehr untergraben werden. Ganz besonders wichtig ist aber auch, dass sich die Frauen gegen ihre fortschreitende Verdrängung aus dem internationalen Diskurs zur Wehr setzen.

Ein "Case in point" sind hier die Millenniums-Entwicklungsziele, die trotz großer Mängel alle einschlägigen Debatten beherrschen und auch im "Frauenbereich" die Lösung parat haben. Bei Peking+10 muss unbedingt erreicht werden, dass die CEDAW und die Aktionsplattform als Grundlage für die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele angesehen werden und nicht umgekehrt!

dieStandard.at: Die Frauenorganisation WIDE, für die Sie sich engagieren, findet,dass die Frauen-Status-Kommission (CSW) der UNO, in deren Rahmen "Peking+10" stattfindet, ihren alten Schwung verloren hat – seit wann und woran liegt das?
Brita Neuhold: Das hängt damit zusammen, dass vor allem seit dem Jahr 2000 das Engagement für Frauenfragen nachlässt, und dass sich gleichzeitig (wieder) schwer überbrückbare Fronten um kulturelle Fragen auftun, darum, wie eine Frau eben zu sein hat. Um diesen Konflikten auszuweichen, wird die Führung der CSW immer rigider und immer weniger charismatisch, vor allem aber immer vorsichtiger und "zahnloser". Anstatt wie früher Weichen zu stellen, windet sie sich zwischen den verschiedenen Positionen hindurch, oder tritt auf der Stelle.

dieStandard.at: Neben all dem, was noch zu tun ist, ist auch schon viel Positives passiert. Was würden Sie als die größten Errungenschaften (von und) für Frauen in den letzten zwanzig Jahren bezeichnen?
Brita Neuhold: Dass ihr Selbstbewusstsein so gewachsen ist, dass sich ihr Bild von sich selbst und ihrer Aufgabe in der Welt so stark verändert hat, dass aber auch die Gesellschaft sie zunehmend in neuem Licht sieht. Das trifft keineswegs nur auf Frauen des Nordens zu, auch in Ländern des Südens treten Frauen sehr energisch auf und setzen umwälzende Dinge in Gang: Denken wir nur an Nobelpreisträgerin Wangaari Matthai, die mit ihrem "Green Belt Movement" die Menschen dazu brachte, über weite Strecken hinweg ihr Land wieder zu begrünen.

dieStandard.at: Wie sehen Sie die Situation der Frauen in Österreich?
Brita Neuhold: Mit der Regierung, die im Jahr 2000 an die Macht kam, sind schwere Rückschläge eingetreten, vor allem durch die die Schließung des Büros der Frauenministerin. Diese wurde zwar rückgängig gemacht, und 2002 wurde ein Ministerium für Gesundheit und Frauen errichtet, dieses knüpft allerdings keineswegs an früheres Engagement an und ist bis jetzt in keiner Hinsicht im Sinn von Frauen aktiv geworden Mit dem Kinderbetreuungsgeld ist ein zwiespältiges Signal gesetzt worden, Neuregelungen im Pensions- und Steuerrecht sowie im Gesundheitsbereich wirken sich negativ auf Frauen aus. Andere Diskriminierungen, vor allem im Bereich der Arbeit, bleiben bestehen, Diskussionen um Neuregelungen im Bereich des Schwangerschaftsabbruches lassen eine Rückkehr zu "alten Werten" erkennen. Das zieht sich durch alle Ebenen.

dieStandard.at: WIDE kritisiert, dass die Interessen der Frauen in den MDGs zu kurz kommen und nicht genug verankert sind. Was kann man hier ändern oder verbessern?
Brita Neuhold: In den MDGs ist das Ziel des Empowerment von Frauen in einem eigenen Ziel verankert, was sicher als Erfolg der internationalen Frauenbewegung anzusehen und eine Folge des ungeheuren Aufschwungs nach der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking ist. Sonst kommen Frauen noch in Ziel V, Verbesserung der Gesundheit von Müttern, und in Ziel VI, Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen Krankheiten, vor. Das sind zweifellos sehr wichtige Fragen, aber sie zeigen Frauen aus einer traditionell akzeptierten Perspektive, nämlich als Mütter oder auch als Opfer, die es zu schützen gilt.

Das eigentliche Problem aber liegt darin, dass Anliegen der Gleichberechtigung und des Empowerment von Frauen überhaupt nicht in so zentrale Bereichen wie Ziel I, Armutsbekämpfung, Ziel VII, Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit, und Ziel VIII, Aufbau einer globalen Partnerschaft vorkommt, obwohl Frauen von allen diesen Fragen gleichzeitig in ungeheurem Maße betroffen sind und über sehr große Erfahrungen der Problemlösung verfügen. Darüber hinaus ist das Ziel III, das der Förderung der Gleichstellung und des Empowerment von Frauen gewidmet ist, zu eng gefasst, Fortschritte werden vor allem an ihrer Integration in die formale Bildung, den formalen Arbeitsmarkt und an ihrem Anteil in Parlamenten gemessen. Der größte Makel dieses Ziels aber besteht darin, dass Kernanliegen der Frauenbewegung wie der Kampf um ihre sexuellen und reproduktiven Rechte und der Widerstand gegen Gewalt, aber auch große Erfolge von Peking, nämlich das Bestehen auf Gleichberechtigung im Erbrecht, nicht aufgenommen wurden. Hier werden wohl die Schwerpunkte der feministischen Bewegung liegen müssen.

dieStandard.at:Gibt es auch allgemeine Kritik an den Zielen?
Brita Neuhold: Ja, es geht nämlich noch um viel mehr: Die MDGs sind durchwegs von dem Glauben an die Segnungen der neo-liberalen Marktwirtschaft durchdrungen und bieten diese als Patentrezept für alle Probleme der Menschheit an, obwohl nachweislich das Fortschreiten der Armut und die Zerstörung der Umwelt sehr viel mit der Globalisierung und Privatisierung der Wirtschaft und mit dem Abbau sozialstaatlicher Modelle zu tun hat. Es wird also auch darum gehen, das den MDGs zugrunde liegende Entwicklungsmodell in Frage zu stellen und alternative Konzepte durchzusetzen. NGOs leisten hier sehr viel, sie müssten nur gehört werden, Auch in New York werden feministische NGOs sehr aktiv in dieser Hinsicht sein, auch WIDE hat ein Analyse- und Strategiepapier dazu erstellt.

dieStandard.at: Sie erwähnten in Ihrem Vortrag auf der Tagung, dass immer mehr Frauenorganisationen weltweit sich von der "Mutter UNO" abnabeln? Sehen Sie das als positiv oder negativ und welche Gründe gibt es für diese Entwicklung?
Brita Neuhold: Das ist nicht so leicht zu beantworten. Einerseits ist es sicher gut, dass Frauen in neue Räume vorstoßen, dass sie den Kampf mit der WTO aufnehmen und sich in die Sozialforen mischen, sich in "gemischten" Gruppen einbringen. Gerade das sichert die Bandbreite der Sichtbarkeit von Frauen und ihrer Standpunkte. Aber es ist auch die Gefahr der Zersplitterung gegeben. Die UNO wird mehr und mehr als schwach angesehen und als ungeeignet, der wirtschaftlichen Bedrohung und dem Abbau von Standards im Bereich Menschenrechte, die in erster Linie von der WTO ausgehen, wirkungsvoll zu begegnen. Aber je mehr sich NGOs und engagierte Einzelpersonen aus der UNO zurückziehen, desto größer werden die Gefahren. Wir müssen also unbedingt gleichzeitig unsere alte Fürsprecherin stärken und dort auf Reformen drängen, und natürlich auch auf anderen Ebenen, außerhalb der UN, aktiv sein.

dieStandard.at: Die CEDAW gilt als die "Magna Charta" der Frauenrechte. Sie ist zwar völkerrechtlich bindend, aber es gibt keine Sanktionen, wenn zum Beispiel die regelmäßige Berichterstattung aus den Ländern zur Situation der Frauen nicht eingehalten werden. Was kann die CEDAW denn heute (noch) bewirken?
Brita Neuhold: CEDAW hat bessere Möglichkeiten als je zuvor. 1999 wurde ein Fakultativprotokoll angenommen, das zwei sehr wichtige Schritte gesetzt hat: Das Recht von Einzelfrauen oder Gruppen, Individualbeschwerden wegen Verletzung ihrer in der Konvention enthaltenen Rechte einzubringen, und die Möglichkeit, Untersuchungen in Ländern, in denen systematische, schwere Verletzungen passieren, durchzuführen. Dieses Protokoll ist sehr schnell in Kraft getreten und wurde bereits von ca. 70 Staaten, von denen viele in Ländern des Südens und Ostens liegen, ratifiziert. Das ist ein großer Fortschritt.

Außerdem nehmen die Staaten im allgemeinen die Verpflichtung, Berichte über die Umsetzung der Konvention zu erstellen, sehr ernst. Die Praxis der Abfassung der Berichte hat sich zudem durch den Druck des CEDAW-Ausschusses, der die Umsetzung überwacht, und durch sehr substanzielle Allgemeine Empfehlungen – General Recommendations - zu der Umsetzung der einzelnen Artikel sehr verbessert. Die NGOs spielen mit ihren Schattenberichten und ihrer aktiven Teilnahme an den Tagungen des Ausschusses eine wichtige Rolle und werden auch stark dabei unterstützt.

Wir sehen also, dass die CEDAW ihre Möglichkeiten verstärkt hat. Andererseits wissen wir auch, das viele Staaten allen voran die USA sie nicht ratifiziert haben; viele Staaten haben Vorbehalte eingebracht, die eigentlich unzulässig und mit dem Geist der Konvention unvereinbar sind; viele Länder nehmen sie in der Praxis nicht ernst, auch in Österreich bestanden lange Zeit sehr große Widerstände in der patriarchal dominierten Justiz gegen sie. Zudem sind CEDAW und ihr bahnbrechendes Protokoll einfach zu wenig bekannt. Hier liegt ein großes Versäumnis von Seiten staatlicher Stellen vor. Trotzdem: CEDAW ist die rechtliche Grundlage für eine Verbesserung der Situation von Frauen in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens und stellt den rechtlichen Rahmen auch für die Umsetzung der Aktionsplattform dar. Sie ist auch eine Handhabe für die Verwirklichung der MDGs.

dieStandard.at: Wie könnte man Frauen auf globaler Ebene wieder mehr zusammenbringen?
Brita Neuhold: Eine gute Möglichkeit sind die Veränderung und Verbesserung der MDGs. Hier können sich Frauen von den verschiedensten Gesichtspunkten her einbringen und sowohl darauf drängen, dass die Zivilgesellschaft mehr als bisher einbezogen wird, als auch ihre Perspektiven in die Weiterentwicklung des Programms integrieren. Die Milleniums-Entwicklungsziele gehen uns alle an: Hunger, Armut, Krankheit und Umweltzerstörung gibt es auch bei uns. Und CEDAW und die Aktionsplattform enthalten Ansätze für die Gesamtgesellschaft in allen Ländern. Darüber hinaus dürfen wir die Veranstaltung einer weiteren Weltfrauenkonferenz nicht bis in alle Ewigkeit verschieben, da nur diese Foren ermöglichen, unsere Anliegen und Lösungsvorschläge einer wirklich breiten Öffentlichkeit vorzustellen und die aktive Einbeziehung ganz neuer Kreise zu erreichen

dieStandard.at: Und wenn Sie drei Wünsche für die Frauen in der Welt frei hätten – welche wären das?
Brita Neuhold: Ich habe eigentlich nur einen Wunsch, und dieser klingt wahrscheinlich naiv: Ich möchte, dass Frauen in einer gerechten und friedlichen Welt ihren eigenen Weg gehen können – und dass sie das mit Solidarität und Achtsamkeit im Umgang mit anderen Menschen, aber auch gegenüber der Natur tun.

Die Fragen stellte Isabella Lechner.