Nationalratspräsident Andreas Khol in einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten" über die "braunen Flecken" in der ÖVP: "Die ÖVP hat ihr kritisches Verhältnis zum Nationalsozialismus immer unter Beweis gestellt. Ich erinnere nur an Kärnten, wo der Brückenschlag zwischen den ehemaligen Parteigenossen und der Sozialdemokratie gelungen ist, während die ÖVP dort auf ihren Kernbestand reduziert wurde, weil sie dieses ,Aggorniamento' (Öffnung) mit den früheren Nationalsozialisten nicht gemacht hat".

Wenn es nur so gewesen wäre. Vor mir liegt die Kopie eines Schreibens der Parteileitung der ÖVP Niederösterreich an einen Herrn F.,Zahntechniker, vom 27. 1. 1950:

"Betr.: Ausnahmebescheid nach § 27 Verbotsgesetz. – Sehr geehrter Herr F.! Wir sind in der angenehmen Lage, Ihnen die offizielle Mitteilung des Innenministeriums und die parteiamtliche Nachricht der Bundesparteileitung zu übersenden, aus denen her vorgeht, dass der Herr Bundespräsident der Republik Österreich ihre Ausnehmung von sämtlichen Sühnefolgen der bestehenden Gesetze bewilligt hat, mit der Einschränkung, dass die laufende und einmalige Sühneabgabe zu bezahlen und die Verfügung über Ihr Vermögen (Kauf, Tausch, Schenkung) erst nach der Entrichtung der ganzen einmaligen Sühneabgabe möglich ist...Sie werden daher nach dem Sinne und Wortlaut des § 27 Abs.19 Verbotsgesetz, einer nicht registrierungspflichtigerPerson gleichgesetzt und sind von Gesetzes wegen in jeder Beziehung so zu behandeln, als ob Sie mit Wirkung vom 27. 1. 50 der NSDAP und ihren Gliederungen überhaupt nicht angehört hätten (Hervorhebung durch H. R.). Die Tatsache, dass die Österreichische Volkspartei (Hauptbezirksparteileitung, Landesparteileitung, Bundesparteileitung) sich für Ihre Ausnahmebehandlung mit Erfolg eingesetzt hat, lässt uns erwarten, dass auch Sie in Zukunft die zuständige Ortsleitung unserer Partei an Ihrem jeweiligen Aufenthalts- und Beschäftigungsort nach besten Kräften unterstützen. Desgleichen liegt uns auch daran, dass Sie in den Kreisen der anderen, uns nahe stehenden Österreichern in Ihrer Art und Weise wirken, welche der Ö.V.P. und ihren Zielen dient" (Dokumentation: Europress, H.Reindl).

Der 1899 geborene F. war illegaler Nazi seit 1933 (Ortsgruppenleiter) und wurde 1946 nach dem Verbotsgesetz (Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP vom 8.Mai 1945) zu 18 Monaten schweren Kerkers verurteilt – seine illegale Tätigkeit wurde als Hochverrat gewertet. Ein paar Jahre später war er durch jene ÖVP weißgewaschen, die laut Khol so gar kein "Aggiornamento" gegenüber den Nazis betrieb.

Andere wiederum legen heute noch Wert darauf, dass die Leistungen eines verdienten Bürgers unserer Republik in der NS-Zeit gebührend annonciert werden. Vor kurzem ist der Seniorchef eines großen Busunternehmens, Dr. Richard, im 90. Lebensjahr verstorben. In seiner Todesanzeige im "Kurier" wird Wert darauf gelegt, dass "KR Dkfm. Dr. Ludwig Richard (III)" nicht nur "Verkehrsunternehmer, Hotelier, Kfz-Meister", sondern auch Angehöriger der "2.PZ-Div. von 1938-45" war. Die Auftraggeber der Todesanzeige wollten auch nicht auf die Mitteilung verzichten, dass er neben zahlreichen Orden, die ihm die Republik verlieh, auch folgende NS-Auszeichnungen erhalten hatte: "Eisernes Kreuz II. Klasse, Silbernes Pionier-Sturmabzeichen, Panzervernichtungsabzeichen, Verwundetenabzeichen, Medaille Winterschlacht im Osten" – und die Medaille "Besetzung von Böhmen und Mähren".

Letzteres umschreibt den Überfall Hitlerdeutschlands auf die Tschechoslowakei im März 1939. Das Busunternehmen Richard hat auch Filialen in Prag und Preßburg. Dort wird man sich über die geschmackvolle Erwähnung der "Besetzungsmedaille" wohl besonders freuen.

(DER STANDARD, Printausgabe, 5.3.2005)