Einmal im Jahr ertrage ich das Gedränge und Geschubbse, Geremple und Gepuffe bei jener U-Bahn-Station, die in meiner Kindheit die Schnittstelle zwischen innerhalb und außerhalb der Stadt darstellte. Einmal im Jahr mag ich den Platz. Wirklich. Seine Architektur, seine Klientel, seine Stimmung, seinen Geruch, seine Klebrigkeit und seine Wespen. Obwohl: Vor die letzten drei Punkte gehört "würde ich mögen": Schließlich kommt das alles erst dann, wenn der Tichy nicht nur offen hat, sondern sich das dazugehörige Lebensgefühl auch auf die Aussentemperatur niedergeschlagen hat. Aber dann mag ich den Tichy längst schon nicht mehr. (Nein, ich lass mich hier nicht auf den "Rapid-oder-Austria"-artigen Streit ein, welcher Eissalon der beste ist.)
Ein Beweis
Heute Vormittag werde ich den Platz und den Ort aber jedenfalls genossen haben. Weil der erste Besuch beim Eissalon halt doch immer noch der unwiderlegbare Beweis dafür ist, dass es jetzt nicht mehr kalt ist. Nicht "wärmer werden wird" sondern "kalt ist": Kalt, hatten die Eltern immer postuliert, sei nämlich einerseits subjektiv, andererseits läge die Entscheidung darüber, ob es draussen nun kalt oder unkalt sei aber doch in ihrer erzieherischen Kompetenz. Und werde ex cathedra, also mit dem absoluten Anspruch der Unfehlbarkeit, verkündet.
Gleichzeitig galt, dass es Eis nicht nur erst dann gäbe, wenn es nicht mehr kalt sei, sondern auch nur in Monaten, die kein R im Namen führten: Das erste Eis war also der doppelt geführte Beweis, dass nicht Winter war. Unfehlbar. Endgültig. Und als Kind vom Favoritner Land beging man dieses denkwürdige Ereignis beim Tichy. Für uns damals also in der Stadt.
Prägung