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Wohin geht die Reise? Die südamerikanischen Präsidenten Lula da Silva (Brasilien, li.), Nicanor Duarte (Paraguay) und Nestor Kirchner (Argentinien, re.) bei der Anfahrt im Bus zum jüngsten Mercosur-Gipfel im brasilianischen Ouro Preto

Foto: Reuters/STRINGER/BRAZIL
Grafik: Standard
Gleich zu Beginn des Treffens österreichischer und lateinamerikanischer Experten, das in der spätsommerlichen Hitze der südlichen Hemisphäre Ende voriger Woche in Buenos Aires stattfand, geriet Jorge Sienra aus Uruguay ins Schwärmen. An der Grenze seines Landes zu Brasilien - wie Argentinien und Paraguay Mitglied im Mercosur - könne man bereits die Zukunft der südamerikanischen Freihandelszone erleben. In der Doppelstadt Rivera (Uruguay) und Sant'Ana do Livramento (Brasilien) zeigen nur noch symbolische Pfeiler den Grenzverlauf an. Wasser und Strom, Rettung, Feuerwehr und Polizei werden von beiden Gemeinden koordiniert. Unter den Bewohnern habe sich eine Mischung aus Spanisch und Portugiesisch, das "Portuñol" entwickelt, berichtete Sienra.

Uruguay steht, auch unter der neuen Linksregierung, fest zur wirtschaftlichen Integration im Mercosur und zu dessen enger Zusammenarbeit mit der EU. Umgekehrt streben die Europäer seit Jahren eine Annäherung an den lateinamerikanischen Markt an.

Beim biregionalen Gipfel 2004 in Mexiko (das mit der EU bereits ein Handelsabkommen geschlossen hat) hob Kanzler Wolfgang Schüssel hervor, dass Österreich im Jahr davor Produkte für 630 Millionen Euro nach Lateinamerika exportiert und von dort für 530 Mio. importiert hat. Er lud die lateinamerikanischen Regierungschefs ein, während des EU-Vorsitzes 2006 zu einem Gipfeltreffen nach Österreich zu kommen.

Bis dahin sollte auch das Handelsabkommen der EU mit dem Mercosur stehen und beide Regionen zur weltgrößten Freihandelszone mit 650 Millionen Menschen vereinen. Doch zum Tangotanzen braucht man zwei. In jüngster Zeit haben sich die Partner aber eher voneinander entfernt und auch im Mercosur - bisher eine unvollständige Zollunion - gibt es für die weitere Integration Rückschläge.

Eine Krise zog Kreise

Angefangen hätten die Probleme mit der Krise in seinem Land, das 2001 zahlungsunfähig wurde, sagte der argentinische Ökonom Andrés Musacchio, der das Seminar in Buenos Aires gemeinsam mit Wolfgang Dietrich von der Uni Innsbruck leitete.

Der für Ende 2004 geplante Vertragsabschluss ist gescheitert, weil die Mercosurstaaten auf den Abbau der EU-Agrarsubventionen bestanden und besseren Marktzugang für Produkte wie Rindfleisch, Geflügel und Zucker verlangten. Die EU, die sich besonders in den Sparten Telekommunikation, Versicherung, Energie, Banken und Autos hohe Zuwächse erhofft, forderte für diese freien Verkehr.

"Die Qualität der Vereinbarung ist wichtiger als der Zeitpunkt", meinte dazu Erich Dix, der österreichische Handelsdelegierte in Argentinien. Nur knapp zwei Prozent der EU-Exporte gehen bisher in den Mercosur-Raum, unter drei Prozent ihrer Importe kommen von dort (vom gesamten Außenhandel des Mercosur macht die EU in beide Richtungen je ein Viertel aus). Für die Europäer ist die Region vor allem ein Zukunftsmarkt mit viel Potenzial, während ein guter Zugang zur EU für die Südamerikaner jetzt wichtiger zu sein scheint.

So empfahl Josef Schwald, ein früherer Handelsdelegierter Österreichs in Buenos Aires, zunächst einmal eine Vereinbarung ohne Agrarlösung auszuhandeln. Gerade Argentinien, das seinen Peso auf ein Drittel des Dollars abwertete, sei nun auch bei Industrieprodukten wieder konkurrenzfähig. Die lateinamerikanischen Gesprächspartner zeigten sich bei solchen Aussichten an einem Abkommen mit der EU zunehmend desinteressiert.

Hoffen auf China

Sie hat ein neuer Hoffnungsrausch erfasst: China. Argentiniens Wachstum von mehr als acht Prozent geht vor allem auf die Exporte von Soja zurück, von denen China 30 Prozent abnimmt. Insgesamt haben sich die Importe Chinas aus Lateinamerika in den vergangenen vier Jahren auf 16,4 Mrd. Euro vervierfacht, Anlass für eine wahre Euphorie.

Carlos Macedo, der die Anliegen der indigenen Bevölkerung Brasiliens vertritt, wies aber darauf hin, dass die enorme Ausweitung der Sojaproduktion Land frisst, den Regenwald zurückdrängt, Ureinwohnern den Lebensraum nimmt und auch das Weltklima gefährdet. Werner Brandstetter, Österreichs Botschafter in Brasilien, sagte, dass die EU auch solche Fragen ansprechen sollte. (Das Buenos-Aires-Seminar wurde denn auch vom österreichischen Lateinamerika-Institut mit der Austrian Development Agency organisiert.)

Der Völkerrechtler Raúl Bernal-Meza konzedierte, dass Europa in kulturellen und politischen Fragen Lateinamerika viel näher steht als die USA, fragte sich aber, "warum wir nicht imstande sind, die exzellenten Beziehungen in gute wirtschaftliche Ergebnisse umzusetzen". (Erhard Stackl aus Buenos Aires, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.3.2005)