1915: "Wien im Festschmuck" mit türkischen Fahnen

foto: otw

"Der Graben in Wien im Siegesschmuck"

foto: otw
"Die Verhüllung der Wiener Kunsthalle mit türkischen Fahnen ist sowohl eine politische als auch eine künstlerische Aussage. Die Kunst ist frei und deren Interpretation ebenfalls. Mit dem folgenden Text nimmt das OTW daher nicht zum künstlerischen Wert von KanakAttack sondern lediglich zu dessen politischem Aspekt Stellung. Das Vorhaben verursachte jedenfalls eine rege politische Diskussion, welche als ein Erfolg anzusehen ist.

'Kunsthalle als Türkenzelt' (FPÖ-Plakat)

Derzeit kommt von der FPÖ aggressive Kritik. Nach einer kurz anhaltenden 'Erfolgsphase' befindet sich diese Partei in einer Zerbröselungsperiode, die die FPÖ wohl als 'Neuorientierung' bezeichnen würde. Als ob es die Absicht der Veranstalter gewesen wäre, trifft Kanakattack die FPÖ mit einem gelungenen Timing mit einer künstlerischen Provokation, die auf eine Partei mit aggressiver Rhetorik seine Wirkung zeigt.

Die Stereotypenforschung beschreibt jede Art von vorherbestimmter Definition über das Andere bzw. den Anderen. Die Gesellschaft einerseits bewahrt das entstandene Bild, hier das Türkenbild, jahrhundertelang, anderseits versucht die Gesellschaft dies im Sinne einer objektiven Betrachtung zu korrigieren. Die Grenzen zwischen Stereotyp und Vorurteil sind dabei fließende. Während sich das Vorurteil abändern läßt, ist es schwierig, fast unmöglich, das Stereotyp zu korrigieren. Auf der Basis dieser zwei Faktoren wird das negative Bild des Anderen behandelt, das nicht dem Eigenen angehört und damit das Eigene definiert und vom Anderen abgrenzt. Die Reaktionen der FPÖ sollen daher in diesem Lichte gesehen werden.

Die Türkei ist vor allem seit 2004 in aller Munde, sowohl Europaweit als aber auch in Österreich. Neben vielen sachlichen und begründeten Bedenken über einen möglichen Beitritt der Türkei in die EU wurden gerade hier in Österreich Argumente emotioneller Art diskutiert, die ihre Wurzeln im historischen Türkenbild finden. Jahrhunderte lange türkisch-europäische Beziehungen definierten die gegenseitigen Identitäten aus der Sicht des Trennenden. Diese Beziehungen erreichen jetzt ihren Höhepunkt im Bereich der EU-türkischen Verhandlungen. Die Beibehaltung des türkischen Stereotyps und dessen Polemisierung stellen hierbei das größte Hindernis der türkisch-europäischen Integration dar.

KanakAttack agiert auf zwei Plattformen, einer internationalen und einer nationalen. Die Reaktionen der FPÖ gehören zur nationalen. Der Deutsch-Türke Zaimoðlu spricht mit seiner Kunst die Interaktionen zwischen den Europäern und den nach Europa eingewanderten Türken an. Die FPÖ ist eine Partei, die die Gesellschaft gerne als homogene Einheit sähe, deshalb eine Kluft zwischen Einheimischen und 'Zuwanderern' machen will um dadurch die 'Inländer' vor den 'usurpierten' Rechten der Ausländer zu beschützen.

'Das Belvedere als Türkenzelt'

Der Deutsch-Türke Zaimoðlu ist nicht der Erste, der versucht, mit Hilfe türkischer Fahnen in Wien türkische Stimmung zu erzeugen [siehe Bild links]. Die Österreicher schmückten vor nunmehr fast hundert Jahren Wien mit türkischen Fahnen. Es war dies die Zeit des Ersten Weltkriegs, in dem die Österreicher in einer Schicksalsgemeinschaft versuchten, ihre Bundesgenossen, die Türken, in der österreichischen Gesellschaft salonfähig zu machen. Der ganze Erste Bezirk war mit türkischen Fahnen geschmückt und dies wurde vom Kriegsmaler Geo Gerlach im Jahr 1915 auch so festgehalten.

1983 hat man im Zuge der Gedenktage bezüglich 300 Jahre Entsatz das Historische Museum der Stadt Wien in ein riesiges Türkenzelt verwandelt. Aber der Höhepunkt war die Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 im Belvedere. Zwei Türkenbezüge in der Geburtsstunde der Zweiten Republik: Bei der Errichtung des Belvedere-Schlosses ließ sich der Edle Ritter Prinz Eugen architektonisch von den Osmanen inspirieren. Die Kuppeln des Belvederes erinnern aus diesem Grund an Türkenzelte. Als die österreichische Delegation 1955 feststellte, dass es in dem Raum, wo der Staatsvertrag unterschrieben werden sollte, keinen repräsentativen Teppich gab, kontaktierte sie die türkische Botschaft und bat diese um einen Teppich (http://www.otw.co.at/otw/index.php/g/a/60). Der sogenannte Staatsvertragsteppich im Belvedere befindet sich noch immer in der türkischen Botschaft, die schräg vis-a-vis situiert ist.

Die Türken waren somit schon vor 50 Jahren sogar während der Geburtsstunde des freien Österreichs mit Teppich und Zelt vertreten."