Prien/Wien - "In den vergangen Jahrzehnten haben die Fälle von Essstörungen unter männlichen Jugendlichen deutlich zugenommen", berichtet Manfred Fichter, Leiter der bayerischen Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, wo derzeit die angeblich bisher größte europäische Studie über Essstörungen bei Männern durchgeführt wird. Bisher galten Essstörungen als typisches Leiden junger Frauen, in der Pubertät leidet etwa jedes zehnte Mädchen darunter. Wesentlich seltener betroffen sind junge Männer, sie machen nur knapp acht Prozent aller Fälle von Magersucht aus. "In unserer Klinik ist die Zahl der Männer mit atypischen Essstörungen von 2,2 Prozent im Jahr 1998 auf über zwölf Prozent 1999 gestiegen", berichtet Fichtner. Zum einen hänge diese Zunahme mit dem generellen Zuwachs dieser Erkrankung zusammen. Zum anderen frequentierten junge Männer mit Essstörungen offensichtlich bisher nur sehr zögerlich einen Therapeuten. Denn noch viel stärker als bei Mädchen sind Essstörungen bei männlichen Jugendlichen tabuisiert, weiß Fichter aus seiner Praxis: Das Stigma der "Frauenkrankheit" mache es jungen Männern schwer, kompetente Hilfe in Anspruch zu nehmen. Während bei jungen Frauen die Ess-Brech-Sucht, Essanfälle ohne Erbrechen und Magersucht überwiegen, sind bei den betroffenen Männern die Krankheitsverläufe der Essstörungen noch vielgestaltiger. "Die Zahl der männlichen Patienten mit Magersucht und Bulimia nervosa ist im Wesentlichen gleich geblieben", sagt Fichter. Doch hätten Essstörungen, bei denen noch weitere Symptome dazukommen, deutlich zugenommen. Meist begleiten noch psychische Störungen wie Depressionen, Angsterkrankungen oder Alkoholismus die Krankheit. Schlankes Idealbild Auch die Schlankheits- und Fitnesswelle setzt die Männer immer stärker unter Druck, einem schlanken Idealbild zu entsprechen, meint Fichter. Wesentlich in der Therapie ist es, die zugrunde liegende psychische Störung zu identifizieren und psychotherapeutisch zu behandeln. "Wobei es bei Männern verschiedene Implikationen gibt", erklärt Fichter. "Viele haben eine Störung in der Geschlechterrollentwicklung. Da tut es ihnen gut, in der Gruppentherapie zusammen mit Frauen behandelt zu werden." (hu)