Für Altbundeskanzler Franz Vranitzky hört sich angesichts der Kampagne gegen die evangelische Bischöfin die
Gemütlichkeit auf. Er plädiert an die Öffentlichkeit, ihr zur Seite zu stehen.
Ich bin nicht evangelisch. Ich bin nicht religiös. Ich kenne Frau Knoll von zwei bis drei Begegnungen im Jahr. Ich bin mit ihr
nicht per Du. Ich kenne wissentlich ihren Mann nicht, schon gar nicht ihre Kinder.
Ich lese in den Medien, "Gertraud Knoll ist Ziel einer Hetzkampagne. Freiheitliche Kirchenfunktionäre wollen, dass sie aufgibt.
Anonyme Schreiber und Anrufer gehen einen Schritt weiter."
Sollte das auch nur annähernd zutreffen - leider gibt es Belege dafür -, hört sich ab hier die Gemütlichkeit der bloß
persönlichen Betroffenheit, die man dann halt für sich behält, auf. Schreibe ich hierzu nicht meinen Protest, meinen
Einspruch, in ein paar Zeilen auf, wozu sollte man sich dann überhaupt noch zu irgendetwas zu Wort melden? Und Pfeile
auch auf sich ziehen (was mir freilich so neu nicht wäre).
Groteske Forderung
Was hat Gertraud Knoll angestellt? Weshalb sollte sie als burgenländische evangelische Bischöfin so untragbar geworden
sein? Ich versuche einige der Vorwürfe zu rekapitulieren. Zu rekapitulieren, verstehen kann ich sie nicht. Akzeptieren auch
nicht.
Ich fürchte - und die Hetzjäger halten damit nicht hinter dem Berg - Knolls Initialproblem besteht einmal darin, dass sie kein
Bischof ist, sondern eine Bischöfin. Das nächste Verwerfliche: Sie hat eigene Meinungen und sagt sie auch (man muss mit
ihr ja nicht übereinstimmen, aber das Recht der freien Meinungsäußerung ist eben unveräußerbar). Es geht weiter: Gemäß
FP-Abgeordneten Leopold Schöggl hätte sie "Äquidistanz zu allen politischen Lagern einzuhalten". Eine geradezu groteske
Forderung, läuft sie doch in dieser Grundsätzlichkeit auf die Garderobierung von Gewissen, Charakter und Moral hinaus,
ignoriert die zweitausendjährige Geschichte der christlichen Religion und so ganz nebenbei die oft mühsame Tagesarbeit
lokaler Pfarrer.
Last but not least gab es Knolls vorauseilenden Sündenfall, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Seither gilt
sie bei den Freiheitlichen, die damals ja Thomas Klestil noch mochten und wählten, als "Linke" und "Grüne".
In einer Zeit des politischen und emotionalen Ungleichgewichts in unserer Republik liegt mir nichts ferner, als mit der Münze
der scharfen Worte zurückzuzahlen. Vielmehr schlage ich vor: Haltet ein! Eure als solche ohnehin verkannten Argumente sind
nicht gut genug.
"Wir Österreicher haben so viel gespendet." (Klaus Fischl, Sprecher der Unabhängigen Plattform der Evangelischen Christen
des Burgenlandes, der Unterschriften gegen Knoll sammelt - Anm. d. Red.) Das ist löblich, berechtigt aber nicht zur
menschlich fragwürdigen Behandlung jemandes, der doch da ist und von unseren Spenden keinen Groschen gesehen hat.
"Zehn Prozent der Protestanten des Burgenlandes votieren für den Rücktritt Knolls", (Fischl). Na und? Was ist mit den
restlichen 90 Prozent?
Späte Distanzierung
An der "Überfremdungsparole ist nichts Furchtbares" (Schöggl). Oh ja, daran ist etwas Furchtbares - oder gilt für den Herrn
Abgeordneten die so genannte Präambel nicht, mit der sein Bundeskanzler in Europa um Normalität bemüht ist? (Bitte den
Katalog der Distanzierungen von Hilmar Kabas' Plakaten durch Jörg Haider durchzulesen. Diese Distanzierungen sind leicht
aufzufinden, weil sie nach dem 3. Oktober 1999 erfolgten, als die Stimmen derer, die mit dieser Parole angesprochen werden
sollten, schon gewonnen waren.) Das gegen Knoll Unterschriften sammelnde VP-Mitglied Arthofer soll gesagt haben: "Ich
habe die Hitlerzeit miterlebt, aber in den Medien wird darüber sehr viel Unsinn verzapft."
Ich fürchte, es wird nicht gelingen, die österreichischen Medien - die meisten jedenfalls - dafür zu gewinnen, über die Hitlerzeit
"Sinn zu verzapfen", weil die Quadratur des Kreises noch nicht gelungen ist. Vollends ersuche ich, sich davon zu lösen, die
SPÖ hätte Knoll für sich instrumentalisiert. (Die Asylpolitik der früheren Regierung hatte u. a. eine lautstarke Gegnerin:
Gertraud Knoll.)
Eine Dame (?), die am "Bürger"-Steig in Eisenstadt vor Knolls Kindern ausspuckt und nach Wiedererlangung der
Sprechfähigkeit die Kleinen auffordert, dies als Botschaft an ihre dreckige Mama weiterzugeben, wollen wir wegen
Selbstausschluss aus dem europäischen Wertebogen einfach sich selber überlassen.
Anders ist schon der niederösterreichische Freiheitliche Ewald Stadler zu sehen. Er - in seinen besseren Zeiten stolz darauf,
"Haiders Dobermann" genannt zu werden - rät Frau Knoll, "nicht so larmoyant zu sein". Selbstverständlich kann jemand, der
in der Öffentlichkeit steht und dort Meinungen äußert, nicht erwarten, immer nur Zustimmung zu ernten. Das wird Frau Knoll
wohl auch wissen. Nur liegt zwischen Kritik und Widerspruch auf der einen und terrorisierenden Attacken bis hinein ins
Familienleben auf der anderen Seite genau der Unterschied, auf den es ankommt.
Und in Stadlers Aufforderung spiegelt sich ja nichts anderes wider, als "ich trete Dir kräftig in die Weichteile und rate Dir
gleichzeitig, nicht wehleidig zu sein". Kennen wir das nicht?
Gertraud Knolls Schlusswort bei ihrer Ansprache vor der Wiener Oper am 19. Februar 2000 halte ich - obwohl anlassbezogen
- trotzdem für zeitlos und gültig für alle, die nicht durch Schweigen zustimmen wollen. Und deshalb plädiere ich an sie, sich
nicht in das Aufgeben hineinbedrohen zu lassen, und an alle, die mir nicht widersprechen, ihr dabei zur Seite zu stehen.
Als es zu spät war
Sie zitiert in diesem Schlusswort Martin Niemöller, evangelischer Pfarrer im KZ von 1938 bis 1945: "Als die Nazis die
Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich
geschwiegen; ich war kein Sozialdemokrat. Als sie die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Katholik.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."
Dr. Franz Vranitzky, ehemaliger Bundeskanzler (1986-1997) und Vorsitzender der SPÖ (1988-1997)