Riess-Passer: Keine Drohungen der FPÖ gegen Knoll Sozialministerin Elisabeth Sickl um Ausgleich und Dialog bemüht. Katholische Theologiestudenten appellieren an Schüssel
Für Altbundeskanzler Franz Vranitzky hört sich angesichts der Kampagne gegen die evangelische Bischöfin die Gemütlichkeit auf. Er plädiert an die Öffentlichkeit, ihr zur Seite zu stehen. Ich bin nicht evangelisch. Ich bin nicht religiös. Ich kenne Frau Knoll von zwei bis drei Begegnungen im Jahr. Ich bin mit ihr nicht per Du. Ich kenne wissentlich ihren Mann nicht, schon gar nicht ihre Kinder. Ich lese in den Medien, "Gertraud Knoll ist Ziel einer Hetzkampagne. Freiheitliche Kirchenfunktionäre wollen, dass sie aufgibt. Anonyme Schreiber und Anrufer gehen einen Schritt weiter." Sollte das auch nur annähernd zutreffen - leider gibt es Belege dafür -, hört sich ab hier die Gemütlichkeit der bloß persönlichen Betroffenheit, die man dann halt für sich behält, auf. Schreibe ich hierzu nicht meinen Protest, meinen Einspruch, in ein paar Zeilen auf, wozu sollte man sich dann überhaupt noch zu irgendetwas zu Wort melden? Und Pfeile auch auf sich ziehen (was mir freilich so neu nicht wäre). Groteske Forderung Was hat Gertraud Knoll angestellt? Weshalb sollte sie als burgenländische evangelische Bischöfin so untragbar geworden sein? Ich versuche einige der Vorwürfe zu rekapitulieren. Zu rekapitulieren, verstehen kann ich sie nicht. Akzeptieren auch nicht. Ich fürchte - und die Hetzjäger halten damit nicht hinter dem Berg - Knolls Initialproblem besteht einmal darin, dass sie kein Bischof ist, sondern eine Bischöfin. Das nächste Verwerfliche: Sie hat eigene Meinungen und sagt sie auch (man muss mit ihr ja nicht übereinstimmen, aber das Recht der freien Meinungsäußerung ist eben unveräußerbar). Es geht weiter: Gemäß FP-Abgeordneten Leopold Schöggl hätte sie "Äquidistanz zu allen politischen Lagern einzuhalten". Eine geradezu groteske Forderung, läuft sie doch in dieser Grundsätzlichkeit auf die Garderobierung von Gewissen, Charakter und Moral hinaus, ignoriert die zweitausendjährige Geschichte der christlichen Religion und so ganz nebenbei die oft mühsame Tagesarbeit lokaler Pfarrer. Last but not least gab es Knolls vorauseilenden Sündenfall, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Seither gilt sie bei den Freiheitlichen, die damals ja Thomas Klestil noch mochten und wählten, als "Linke" und "Grüne". In einer Zeit des politischen und emotionalen Ungleichgewichts in unserer Republik liegt mir nichts ferner, als mit der Münze der scharfen Worte zurückzuzahlen. Vielmehr schlage ich vor: Haltet ein! Eure als solche ohnehin verkannten Argumente sind nicht gut genug. "Wir Österreicher haben so viel gespendet." (Klaus Fischl, Sprecher der Unabhängigen Plattform der Evangelischen Christen des Burgenlandes, der Unterschriften gegen Knoll sammelt - Anm. d. Red.) Das ist löblich, berechtigt aber nicht zur menschlich fragwürdigen Behandlung jemandes, der doch da ist und von unseren Spenden keinen Groschen gesehen hat. "Zehn Prozent der Protestanten des Burgenlandes votieren für den Rücktritt Knolls", (Fischl). Na und? Was ist mit den restlichen 90 Prozent? Späte Distanzierung An der "Überfremdungsparole ist nichts Furchtbares" (Schöggl). Oh ja, daran ist etwas Furchtbares - oder gilt für den Herrn Abgeordneten die so genannte Präambel nicht, mit der sein Bundeskanzler in Europa um Normalität bemüht ist? (Bitte den Katalog der Distanzierungen von Hilmar Kabas' Plakaten durch Jörg Haider durchzulesen. Diese Distanzierungen sind leicht aufzufinden, weil sie nach dem 3. Oktober 1999 erfolgten, als die Stimmen derer, die mit dieser Parole angesprochen werden sollten, schon gewonnen waren.) Das gegen Knoll Unterschriften sammelnde VP-Mitglied Arthofer soll gesagt haben: "Ich habe die Hitlerzeit miterlebt, aber in den Medien wird darüber sehr viel Unsinn verzapft." Ich fürchte, es wird nicht gelingen, die österreichischen Medien - die meisten jedenfalls - dafür zu gewinnen, über die Hitlerzeit "Sinn zu verzapfen", weil die Quadratur des Kreises noch nicht gelungen ist. Vollends ersuche ich, sich davon zu lösen, die SPÖ hätte Knoll für sich instrumentalisiert. (Die Asylpolitik der früheren Regierung hatte u. a. eine lautstarke Gegnerin: Gertraud Knoll.) Eine Dame (?), die am "Bürger"-Steig in Eisenstadt vor Knolls Kindern ausspuckt und nach Wiedererlangung der Sprechfähigkeit die Kleinen auffordert, dies als Botschaft an ihre dreckige Mama weiterzugeben, wollen wir wegen Selbstausschluss aus dem europäischen Wertebogen einfach sich selber überlassen. Anders ist schon der niederösterreichische Freiheitliche Ewald Stadler zu sehen. Er - in seinen besseren Zeiten stolz darauf, "Haiders Dobermann" genannt zu werden - rät Frau Knoll, "nicht so larmoyant zu sein". Selbstverständlich kann jemand, der in der Öffentlichkeit steht und dort Meinungen äußert, nicht erwarten, immer nur Zustimmung zu ernten. Das wird Frau Knoll wohl auch wissen. Nur liegt zwischen Kritik und Widerspruch auf der einen und terrorisierenden Attacken bis hinein ins Familienleben auf der anderen Seite genau der Unterschied, auf den es ankommt. Und in Stadlers Aufforderung spiegelt sich ja nichts anderes wider, als "ich trete Dir kräftig in die Weichteile und rate Dir gleichzeitig, nicht wehleidig zu sein". Kennen wir das nicht? Gertraud Knolls Schlusswort bei ihrer Ansprache vor der Wiener Oper am 19. Februar 2000 halte ich - obwohl anlassbezogen - trotzdem für zeitlos und gültig für alle, die nicht durch Schweigen zustimmen wollen. Und deshalb plädiere ich an sie, sich nicht in das Aufgeben hineinbedrohen zu lassen, und an alle, die mir nicht widersprechen, ihr dabei zur Seite zu stehen. Als es zu spät war Sie zitiert in diesem Schlusswort Martin Niemöller, evangelischer Pfarrer im KZ von 1938 bis 1945: "Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war kein Sozialdemokrat. Als sie die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Katholik. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte." Dr. Franz Vranitzky, ehemaliger Bundeskanzler (1986-1997) und Vorsitzender der SPÖ (1988-1997)