Starke Frau, hinter großem Mann versteckt: Laura Linney und Liam Neeson in Bill Condons Film über den US-Sexualforscher Kinsey.

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Wien - Richtig fragen will gelernt sein: Wer von seinem Gegenüber wahrheitsgetreue Aussagen über dessen Intimleben erhalten will, der muss, so der Professor, jedwedes Vorurteil vergessen. Zwecks entsprechender Schulung seiner Mitarbeiter stellt sich der Professor selbst als Proband zur Verfügung und gibt Auskunft - ein Verfahren, das der Film, in dem Nämliches geschieht, aufgreift: Bill Condon rückt in Kinsey, wie der Originaltitel schon sagt, die Person des US-Naturwissenschafters und Sexualforschers in den Mittelpunkt seines Films.

Dementsprechend begegnen wir dem Helden in einer Serie von Rückblenden, die besagte Übungsinterviews einleiten, zunächst in seiner Jugend: Als Sohn eines gestrengen Geistlichen (John Lithgow), der einen unerbittlichen Kampf gegen jedwede Form des Genusses und somit auch gegen fleischliche Begierden führt, wächst Alfred Charles Kinsey, Jahrgang 1894, am Lande auf. Er entflieht der Enge des väterlichen Haushalts an die Universität und wird dort im Laufe der Jahre zuerst einmal eine Koryphäe auf dem Gebiet der Erforschung der Gallwespe.

Nutty Professor

Weil sich hier alles aus der Biografie ableitet, ist auch Kinseys langsame Hinwendung zum Studium des Sexualverhaltens seiner eigenen Artgenossen mit persönlichen Erfahrungen verknüpft: Der als eine Art von Nutty Professor dargestellte Zoologe (Liam Neeson) heiratet nämlich und muss bald feststellen, dass ein glücklich vollzogener Geschlechtsverkehr nicht unbedingt "natürlich" ist.

Kinseys Forscherdrang ist geweckt. Und seine Bereitschaft, Rat suchenden Studierenden bei einschlägigen Problemen mit Auskünften behilflich zu sein, führt dazu, dass ihm der fortschrittliche Dekan seiner Universität einen Kursus einrichtet. Dieser erste öffentliche Schritt aus einer tabuisierten Zone zieht jene umfänglichen empirischen Erhebungen nach sich, die die Basis für Kinseys Aufsehen erregende Publikationen bilden: Das sexuelle Verhalten des Mannes und Das sexuelle Verhalten der Frau.

Die beiden Bücher erschienen 1948 beziehungsweise 1953. Aber wo sich alles in der Vita des Helden begründet, bleiben äußere Zusammenhänge sekundär. So wirkt nicht nur Kinsey selbst ein wenig losgelöst von Zeit und Raum. Auch der Film verweist kaum je genauer auf das historische Umfeld, in dem Kinseys Forschungen stattfinden. Stattdessen erzählt er, relativ konventionell, eine Jahrzehnte umfassende Aufstiegs- und Fallgeschichte, die sein ansehnliches Ensemble (verschenkt: Laura Linney) mit Unterstützung seitens des Make-up-Departments brav durchexerziert. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.3.2005)