Susanne Scholl: "Emma schweigt", Residenz Verlag 2014.

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Susanne Scholl hat viele Jahre für den ORF aus Russland und Tschetschenien berichtet.

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Emma ist keine besonders sympathische Person. Die Pensionistin mit dem sprichwörtlichen Wiener Grant findet immer das Haar in der Suppe: Der Sohn ist zwar Arzt, aber nur in einem Labor, die Enkeltochter ist zwar wohlgeraten, trägt aber viel zu kurze Röcke. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Noch schlimmer wird es, als Emma zur Kenntnis nehmen muss, dass ihre neue Schwiegertochter in spe, Emine, eine Österreicherin mit türkischen Wurzeln ist.  

Emma trifft auf Sarema, eine junge Frau, die mit ihrem Sohn aus Tschetschenien geflüchtet ist. Als die alte Frau nach einem Sturz einen Liegegips braucht, wird sie von Sarema liebevoll gepflegt. In einer nahezu filmischen Schnitt-Gegenschnitt-Perspektive führt uns die Autorin Susanne Scholl an die beiden Frauen heran: an Emma, die in Wien in ihrem Bett liegt und mit ihrem Schicksal hadert – und an Sarema, die in Grosny in einer Kammer wacht und um ihr Leben und das ihres letzten Kindes bangt. 

"Für meine tschetschenischen Freundinnen"

Die Journalistin Susanne Scholl hat viele Jahre für den ORF aus Russland und Tschetschenien berichtet, sie weiß, wovon sie schreibt: Sarema und ihre Geschichte stehen für die Schicksale vieler tschetschenischer Frauen. "Für meine tschetschenischen Freundinnen, die niemals aufgeben", lautet die Widmung, die Scholl ihrem Buch voranstellt. Sarema verliert Mann und Brüder im Krieg, muss sich monatelang im Keller verstecken, dann wird auch noch einer ihrer Söhne beim Spielen von einer Kugel in den Kopf getroffen. 

Auffallend ist die beinahe schon lakonische Sprache, die Scholl für die Erzählung dieser Schicksalsschläge wählt: "Es war eine verirrte Kugel, keiner der Bewaffneten hatte den kleinen Buben beachtet, sie hatten geschossen und waren schon verschwunden, als Sarema aus dem Haus stürzte und ihr totes Kind in der Mitte der Straße liegen sah." Punkt. Es folgt keine erzählerische Einfühlung in das Leid der Mutter, die Geschichte geht weiter, muss weitergehen.

Die gemeinsame Sprache fehlt

Susanne Scholl hat Erfahrung mit Stoffen, die ans Unsagbare rühren: In "Elsas Großväter" hat sie über das Schicksal ihrer im Holocaust ermordeten Großeltern geschrieben. Sarema hat überlebt, aber ihr Schicksal bleibt offen. Scholl macht nicht den Fehler, uns die beiden so ungleichen Protagonistinnen am Ende als Freundinnen vorzustellen. Dafür sind die Differenzen zu groß, und es fehlt auch an einer gemeinsamen Sprache. Nur der Sohn Schamil, der schon besser Deutsch spricht, kann eine emotionalere Beziehung zu Emma aufbauen. 

Genauso differenziert wie diese Beschreibung ist die Beobachtung des Verhältnisses zwischen Sarema und Emine: Die Migrantin zweiter Generation begegnet den Flüchtlingen mit großem Misstrauen. Hier rührt Scholl an einen wunden Punkt, der in der Geschichte nicht aufgelöst wird. "Emma schweigt" ist eben eine Parabel und keine Reportage. (Tanja Paar, dieStandard.at, 9.4.2014)