Happy birthday, house!

Eigenes und geklautes Kind beim Chillen.

So nah am Feuer

Herzensbilder - von Monika Pellkofer-Grießhammer

"Willst du wirklich, dass die uns das Sozialamt auf den Hals hetzen?", fragt meine Tochter, als ich ihr erzähle, dass ich an einer Homestory schreibe. An unserer Homestory.

Ich wohne mitten im Weinviertel. Ich mag die Gegend mit den sanften Hügeln, aber so richtig heimisch fühle ich mich hier nur wegen einer Handvoll Menschen, die mir wichtig sind. Als "Zuagraste" gehört man im Weinviertel ohnehin erst in der fünften Generation dazu (noch dazu, wenn man keine Vorhänge hat, wie wir) oder wenn man betrunken mit dem Feuerwehrkommandanten auf dem Zeltfest zu "Ich hab dich tausendmal betrogen" geschunkelt hat.

Als wir hierhergezogen sind, wollte ich gerne Teil dieser Gemeinschaft sein, weil in mir – wie vermutlich in vielen Menschen – die tiefe Sehnsucht schlummert, dazuzugehören. Irgendwann war mir der Preis zu hoch.

Aber das Haus, in dem ich hier mit meiner Familie und drei Katzen lebe, das liebe ich.

Man kann bei uns nicht vom Boden essen. Was aber kein Problem ist, wir haben einen Tisch. Außerdem gibt es immer genug zu essen, man braucht sich also nicht am Boden zu vergreifen. Wenn bei uns jemand um 9 Uhr abends den Wunsch nach Buchteln mit Vanillesoße äußert, dann stelle ich mich an den alten Küchenofen, lege Holz nach und fange an zu backen. Während der Germteig geht, sitze ich im Wohnzimmer am indianischen Urtonofen – der war unser erstes und ist mein liebstes Einrichtungsstück –und tickere. Nah am Feuer bin ich zu Hause. Manchmal verbrenne ich mich daran. Gegen Mitternacht klingelt dann der Wecker, damit zum Essen alle pünktlich wach sind.

Meine Wohnphilosophie? Ich habe keine. Leben und leben lassen halt, aber das ist keine Philosophie, sondern selbstverständlich. Sein statt Schein.

An den Wänden Bilder von befreundeten Künstlern und Künstlerinnen. Kitsch fürs Herz. Die Computerzentrale für den Ehemann, der dort nicht nur arbeitet, sondern per Headset Allianzen bildet, Planeten erobert und die Welt rettet, ein bequemes Sofa für die Tochter, die sich erholen muss, weil das Leben manchmal ganz schön anstrengend ist. Vor dem Haus ein Traktor für den Sohn, dem nur ein Acker fehlt.

Die Liebe zur Unvollkommenheit

Das Wichtigste am Haus sind die Türen, die offenen. Unser Haus ist Asyl für Freunde, die ihre Schlüssel, ihre Liebe, ihre Fassung verloren haben oder hungrig sind.

Perfektion finde ich langweilig, sowohl an Häusern als auch an Menschen; ihr fehlt das Lebendige – und dass ich sagen kann: "Wird schon noch."

Nach 20 Jahren fällt mir auch nicht mehr auf, dass im Badezimmer Sesselleisten fehlen oder am Dach ein Ziegel locker ist. Vielleicht ist meine Philosophie mit der Liebe zur Unvollkommenheit nur eine Schutzbehauptung. Vielleicht bin ich in Wahrheit einfach zu faul, um mehr Zeit ins "schöner Wohnen" zu investieren. Da schon lieber gemütlich und ein wenig abgefuckt. Beim Schreiben dagegen strebe ich nach Vollkommenheit. Deshalb beginnt jeder Tag damit, dass ich – noch im Bett – in meinem "Forscherinnentagebuch" schreibe. Wird schon noch, das mit der Perfektion.

Dabei schaue ich in den verwunschenen Garten mit seinen alten Obstbäumen, Holundersträuchern und Hecken, der schuld daran war, dass wir das Haus gekauft haben, für umgerechnet 65.000 Euro. Geld zum richtig schön Renovieren war nie genug da, immer nur fürs Notwendige. Manchmal nervt das, weil das Haus schlecht isoliert ist und man bei Dauerregen nicht nur in der Badewanne nass wird. Aber wenn ich zwischen Lavendel und Ribiselstrauch sitze und mir Geschichten ausdenke, während sich der dreibeinige Kater auf der Tastatur meines Laptops breitmacht, wenn ich das Gras wachsen und im nahen Wald die Wölfe heulen höre, dann fühle ich mich unendlich wohl.

"Achtung, Pathetikalarm!", ermahnt mich meine Tochter und nimmt mir das Glas aus der Hand.

Unser Haus ist dieses Jahr 100 Jahre alt. Zwei Kriege hat es überlebt, ein paar Menschenleben und viele Geschichten. Es hat Risse bekommen, und manchmal biegen sich die Balken. "Im Sommer wirst du eine schöne Geburtstagsparty kriegen", verspreche ich ihm, als es vorwurfsvoll knarrt und knarzt. "Die Gäste werden dir Geschenke bringen, Zementsäcke und Farbe." Und als meine Tochter kurz weghört, flüstere ich: "Vor allem aber werden sie feiern. Dich. Mich. Das Leben." (k_otin, derStandard.at, 10.6.2014)