"Wenn ich die durch Überdüngung wuchernden Brennnesseln erdulde, müsste mein Gartler es eigentlich kapieren und das Düngen reduzieren."

Foto: Petra Eder

Völlig verzweifelt schleppt sich der zerzauste Garten zu seinem Coach, dem Gartenflüsterer. Der Coach betrachtet seinen Klienten Garten freundlich, bleibt jedoch stumm. Diese Ruhe hilft dem Garten, sich ein wenig zu fokussieren. Es ginge so nicht weiter, meint er dann. Was der Gartler da so aufführt, ginge auf keine Grasnarbe.

Der Gartenflüsterer verstärkt die Emotionen, in dem er nach Konkretem fragt. Der Garten seufzt, lehnt sich zurück, und dann sprudelt es nur so aus ihm heraus: Der Gartler würde wie jedes Jahr überdüngen. Immer wenn es Mai wird, fährt er in eine Gärtnerei, verzichtet dort auf Beratung und kommt mit Batterien an Düngemitteln zurück, die er sofort und ungezielt großflächig aufträgt. Hat er denn vergessen, dass er im Winter, als noch Schnee lag, eine Schicht Kompost ausgetragen hatte? Das muss doch erst einmal verdaut, Pardon, assimiliert und in Blatt und Blüte transformiert werden!

Der Gartenflüsterer, nonverbal präsent und empathisch, fragt, wie das denn andere Gärten lösen würden. Die machten es sich leicht, sagt der Garten. Sie ließen einfach unglaublich viel Unkraut in die Höhe wachsen, was die jeweiligen Gartler dann auf ihre Düngergaben zurückführten und in Folge das Düngen einstellten.

Zu eitel fürs Kraut

Der Flüsterer schweigt, denn der Garten betritt soeben den Lösungsraum. Ganz bei sich wartet der Garten, dass der aufkommende Gedanke Gestalt annimmt und er ihn artikulieren kann: Ich bin zu eitel! Ich will keine Wildkräuter, Beikräuter und spontanen Wildwuchs - Anarchie hat bei mir keinen Platz! Soll ich etwa mit denen meine Düngergaben teilen? Sicher nicht!

Nun will der Flüsterer wissen, wie denn die Gärten anderer Gartler aussehen, ob dort tatsächlich das Unkraut das Oberkommando übernommen hätte. Nein, das habe es nicht, seufzt der Garten. In der Regel seien die Gärten tipptopp gepflegt, das Unkraut würde auf dem Komposthaufen landen und im kommenden Jahr als biogener Dünger wieder ausgetragen werden. Eh so, wie es sich gehöre.

Eventuell, sagt der Garten dann leise, sollte ich an meiner Eitelkeit arbeiten. Wenn ich die durch Überdüngung wuchernden Brennnesseln erdulde, müsste mein Gartler es eigentlich kapieren und das Düngen reduzieren. Und falls nicht, schicke ich ihm noch die Große Klette und den Beifuß - nach kurzen Internetrecherchen müsste er es dann überzuckert haben, dass er mir mit seinen gutgemeinten, aber übertriebenen Düngergaben schadet. Der Gartenflüsterer druckt unterdessen die Honorarnote aus, Dünger würde er nicht akzeptieren, sagt er. (Gregor Fauma, Rondo, DER STANDARD, 23.5.2014)