Stockholm am 8. Oktober 2013: Staffan Normark (2. von links) gibt in der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm bekannt, dass Peter Higgs und François Englert den Nobelpreis für Physik gewonnen haben.

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An diesem Wissenschafter führt beim Nobelpreis kein Weg vorbei: Staffan Normark.

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STANDARD: Als Sie letztes Jahr bekanntgaben, dass der Physiknobelpreis an Peter Higgs und François Englert für die Vorhersage des Higgs-Bosons geht, gab es Diskussionen, ob man nicht die Forscher vom Cern mitauszeichnen sollte. Die hatten das Teilchen schließlich experimentell bestätigt. Ist es noch zeitgemäß, den wichtigsten Wissenschaftspreis der Welt ausschließlich an bis zu drei Einzelforscher zu vergeben?

Normark: Das ist eine Frage, die auch wir an der Akademie diskutieren. Schließlich sind wir für die Vergabe der Nobelpreise in Physik und Chemie sowie für den Preis für Wirtschaftswissenschaften zuständig. In den Naturwissenschaften mit den immer größeren Forschergruppen scheint es immer schwieriger zu werden, die herausragenden Individuen zu identifizieren. Andererseits es sind es immer wieder ganz besonderen Forscher, denen es gelingt, die Wissenschaft entscheidend voranzubringen – sie dafür zu würdigen, macht gerade den Reiz des Nobelpreises aus. Wird sind uns an der Akademie aber im klaren, dass es in Zukunft noch mehr Durchbrüche geben wird, die man nicht bloß drei Forschern zurechnen kann. Und wir überlegen, wie wir damit umgehen sollen.

STANDARD: Ein anderes Problem beim Nobelpreis ist zumindest laut einer neuen finnischen Studie, dass immer mehr Zeit zwischen einer Entdeckung und der Auszeichnung vergeht.

Normark: Bei Peter Higgs und François Englert war das sicher so, die ihre Arbeiten vor 50 Jahren geschrieben haben. Freilich: Wenn das Cern-Experiment 20 Jahre früher gelungen wäre, dann hätten Sie den Preis natürlich schon vor 20 Jahren gekriegt. Forschungsfelder haben ihre eigene Konjunkturen, manche werden schnell „heiß“, andere langsamer, manche kühlen wieder ab. Es kann aber nach wie vor sehr schnell gehen, denken Sie nur an die Entdeckung von Graphen. Das war 2004, sechs Jahre später gab es dafür den Nobelpreis. Bei den iPS-Zellen von Shinya Yamakana war es ähnlich. Und im Bereich der Astrophysik wurden die letzten Nobelpreise fast alle für Entdeckungen vergeben, die kaum zehn Jahre alt waren. Manchmal dauert es aber auch zu lange, und die Kandidaten sterben vorher.

STANDARD: Wie viel Aufwand steckt hinter dem Nobelpreis, der unbestritten als der wichtigste Wissenschaftspreis der Welt gilt?

Normark: Ziemlich viel. Konkret ist das schwer zu beziffern. Es sind jedenfalls hunderte Personen, die beim Auswahlprozess, an den Feierlichkeiten und den ganzen Nebenveranstaltungen mitarbeiten.

STANDARD: Ich nehme an, dass es Ihrer Akademie und Schweden aber auch etwas bringt, die Nobelpreise zu vergeben.

Normark: Klar. Die Marke „Nobelpreis“ öffnet viele Türen, da er für wissenschaftliche Topqualität steht. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir die besten Forscher der Welt für Konferenzen oder Vorträge nach Stockholm holen können. Die Wissenschafter, die den Nobelpreis gekriegt haben, kommen immer gerne zu uns. Und mindestens so gerne kommen die, die den Nobelpreis gewinnen möchten. In der ersten Dezemberwoche unmittelbar vor der Überreichung der Nobelpreise gibt es viele Veranstaltungen, darunter eine große Konferenz – nicht so groß wie das Weltwirtschaftsforum in Davos. Wir diskutieren dort wichtige gesellschaftsrelevante Themen, heuer wird es das Thema „Altern“ in allen wissenschaftlichen Zusammenhängen sein. Und das findet auch breiten Niederschlag in der schwedischen Öffentlichkeit.

STANDARD: Welche Auswirkungen hat der Nobelpreis auf das schwedische Wissenschaftssystem?

Normark: Um den angesehensten Wissenschaftspreis der Welt zu vergeben und die besten Forscher auswählen zu können, braucht es Wissenschafter, die da einigermaßen mithalten können. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite gelingt es uns mit dem Nobelpreis, Wissenschaft in der Öffentlichkeit zu einem Thema zu machen und darauf hinzuweisen, wie wichtig für die Gesellschaft Grundlagenforschung ist – auch wenn die meisten Nobelpreisträger natürlich nicht aus Schweden kommen.

STANDARD: Was sind andere Faktoren, die Schwedens Innovationssystem so stark machen?

Normark: Eine unserer Stärken ist sicher, dass die schwedische Regierung die Wissenschaft seit vielen Jahren unterstützt und auch ausreichend finanziert. Unsere Politiker sind sehr daran interessiert, dass unser Land auch in der Grundlagenforschung international eine gute Figur macht. In Zeiten, in denen die Förderung von Forschung unter Druck gerät, ist das von besonderer Bedeutung.

STANDARD: Kommt das Geld dafür allein vom Staat?

Normark: Nein, wir haben auch eine Reihe von gemeinnützigen Stiftungen, die viel Geld in die Hand nehmen. Und das gehört auch zu den Stärken Schwedens. Eine der größten weltweit ist die private Wallenberg-Stiftung, die umgerechnet mehr als 100 Millionen Euro jährlich ausgibt.

STANDARD: In den letzten Jahren scheint man in Schweden auf sehr hohem Niveau etwas zu stagnieren. Gibt es neue Strategien, mehr Dynamik ins System zu bringen?

Normark: Die Diagnose ist nicht ganz falsch, und ja, wir haben da einige Ideen. Wir sind uns beispielsweise einig, dass wir uns künftig stärker um ausgezeichnete junge Wissenschafter nicht nur in Schweden, sondern weltweit bemühen müssen. Das ist eine der Aufgaben, die wir von der Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit der Wallenberg-Stiftung übernommen haben. In den nächsten zehn Jahren werden wir mit dem Geld der Stiftung 250 Jungforscher im Alter von rund 30 Jahren – davon knapp die Hälfte aus dem Ausland und rund 40 Prozent Frauen – auswählen und ihnen einen möglichst attraktives Jobangebot machen.

STANDARD: Wie gehen Sie dabei vor?

Normark: Teams an den Universitäten suchen nach den größten Nachwuchstalenten an der eigenen Hochschule aber auch im Ausland. Diese Vorschläge werden von uns an der Akademie geprüft: Wir interviewen die Kandidaten, schauen uns ihre bisherigen Leistungen an und wenn sie entsprechen, kriegen sie ihre Finanzierung. Das wird im Schnitt ein Betrag von ungefähr einer Million Euro für fünf Jahre sein. Zudem wollen wir die Situation für junge Forscher insgesamt verbessern: Sie sollen statt vier nun sechs Jahre Zeit erhalten, um sich zu beweisen. Und sie sollen auch eine rechtliche Möglichkeit erhalten, sich auf eine permanente Stelle zu bewerben. Das Bemühen geht dahin, dem Forschernachwuchs mehr Karrieresicherheit zu bieten. Das ist vor allem für junge Top-Wissenschafterinnen aus dem Ausland ein wichtiges Kriterium. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 21.5.2014)