"Wenn's einfach nicht geht, dann geht's einfach nicht": Chuzpe 2014 erinnern sich durchaus zeitlos klingend an die 1980er-Jahre in Wien. Von links: Andreas Kolm, Robert Wolf und Stephan Wildner.

Foto: Hannah Wildner

Wien - Zuletzt erinnerte man sich ausgerechnet wegen Karl-Heinz Grasser an diese nicht einmal noch in Österreich weltbekannte Wiener Band. KHGs öffentliches Verlesen von vermeintlicher Verehrerpost im Fernsehen im Jahr 2011 - Stichworte: "Sie sind zu jung, zu schön, zu intelligent" - war möglicherweise ein Trojanisches Pferd, das aus dem Jahr 1982 herübergewackelt ist. Damals lautete eine beliebte widerständige Sozialtechnik "Subversion durch Affirmation".

Die Band nannte sich frech Chuzpe. Das Lied, um das es geht, war gut. Man nannte die Zeiten damals längst "post-punkig" oder "new wavig", weil sogar Punks duschen und eine Freundin wollen, wenn sie etwas älter werden. Deshalb ziehen sie Lederjacken mit der Aufschrift "Wien, du tote Stadt" aus und kleiden sich fortan in Architektenschwarz.

Die besagte Band jedenfalls kam im damals populären Marschierdisco-Stechschritt daher. Die Gitarren bitzelten sekkant über dem Grundbeat. Dafür kam der Bass direkt aus dem Bierzelt. Die Synthesizer fiepsten: Schnell gesehen, schön geschossen. Chuzpe klangen "ironisch-gebrochen" und "postmodern", wie man es damals im Nachtleben bei Bekannten aufgeschnappt hatte, die es angeblich von der Lektüre populärer französischer Philosophen wussten, die aber natürlich kein Schwein in echt gelesen hatte. Dafür waren die Zeiten viel zu schnell.

Die Sänger Robert Wolf und Stephan Wildner höhnten mit ostösterreichischem Akzent. Dazwischen machte es "Hoi, hoi!". Die zwei viel zu guten Minuten von Zu klug für diese Welt wurden natürlich niemals ein Hit: "Keine Angst und wenig Geld, wir sind zu klug, wir sind zu schön für diese Welt!"

Apropos Postmoderne. Robert Wolf, der zuvor in anderer Bandbesetzung zünftige heimische Punkklassiker wie Beislanarchie oder Urlaub in Stalingrad geschaffen hatte, war tatsächlich eine Liesl von der Post. Von 1973 bis 1998 war der heute 60-jährige Briefträger im ersten Bezirk, zuletzt bis zu seiner Hacklerpension laut Eigendefinition "Beschwichtigungshofrat" im Kundendienst.

Chuzpe existierten zwischen 1976 und 1984. 1000 Takte Tanz von 1982 inklusive parolenartiger Elektropop-Schlager wie Die guten Kräfte sammeln sich, Tote Körper tanzen anders oder eben Zu klug für diese Welt blieb damals das einzige Album. Heute würde man damit die heimischen Charts stürmen, damals ging es mit nur 2500 verkauften Stück unter. Der einzige Hit von Chuzpe war ausgerechnet eine Coverversion, Love Will Tear Us Apart der britischen Band Joy Division.

Nachdem sich Bassist Christian Brandl 1987 aufgrund seiner Drogensucht umgebracht hatte, fiel die Band auseinander. Keyboarder und Musikchef Andreas Kolm wurde Rechtsanwalt. Stephan Wildner zog als Graf Hadik mit neuer Band um die Häuser und wurde Psychiater. Robert Wolf veröffentlichte sporadisch Platten, etwa eine psychedelische Coverversion des Wolfgang-Ambros-Klassikers Hofa, gesungen auf Englisch. Außerdem bespaßte er als Chuzpe 77 hin und wieder die Wiener Stadt mit den alten räudigen Punkhadern (Polsterficker!).

Das Trio veröffentlicht nun nach gemütlicher Vorwärmphase, die Ende der Nullerjahre begann, das zweite Album seiner Karriere. Vor 100 Tausend Jahren war alles ganz anders (Vertrieb: Hoanzl) schließt dabei nahtlos und zackig an das Jahr 1982 an. Manchmal hört man zart moderne Sounds, die neue Welle bleibt aber die alte. Textlich gibt Wolf sich heute gesprächiger, weniger parolenhaft als früher. Der gute Schmäh ist Chuzpe geblieben: "Ein Tinnitus und ein Gedächtnis wie ein Sieb, das ist alles, was vom Punkrock übrigblieb."

Chuzpe mit Vor 100 Tausend Jahren live am Freitag, 23. 5., im Cabaret Fledermaus, 1010 Wien, 21 Uhr (pünktlich!). Der Schlaf vor Mitternacht ist der gesündeste. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 22.5.2014)