Frankreichs extreme Rechte bei 25 Prozent! Wie konnte es so weit kommen? Weil das Land lieber wegschaut, als sich den tieferen Gründen für den Erfolg des Front National zu stellen: Arbeitslosigkeit, Fremdenangst, dem Demokratiedefizit von Zentralstaat und EU - und dem unbestreitbaren Redetalent der Lepenisten. Viele Politiker scheuen Ursachenforschung, weil sie mit den eigenen Defiziten konfrontiert würden. So ist Präsident François Hollande nicht in der Lage, der Wirtschaft Impulse zu verleihen, und neutralisiert seine eigenen Maßnahmen: Nach Steuererhöhungen will er nun die Abgabenlast senken.

Indem die etablierten Politiker den FN-Vormarsch wegzappen, vermögen sie den Wählern auch nicht zu erklären, dass die Rechtsextremen gar keine Alternativen anzubieten haben. Le Pens Wirtschaftsprogramm steht und fällt mit der Forderung, aus dem Euro auszutreten und den Franc gleich um 20 Prozent abzuwerten. Das würde das Land in die Isolation, Inflation und Rezession treiben - und das Arbeitslosenheer noch vergrößern. Darunter litte dann natürlich auch die Grandeur, die Marine Le Pen Frankreich zurückzugeben verspricht.

Außerdem verlangt der FN die Rückkehr zum Verhältniswahlrecht. Das mag an sich berechtigt sein; die Verfassung würde zwar demokratischer, verlöre aber viel von ihrer "bonapartistischen" Identität. Le Pen wäre folglich auch die Totengräberin einer französischen Tradition. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 27.5.2014)