Synthetische Drogen stellen die Fahnder europaweit vor Herausforderungen.

Lissabon - Weniger Drogentote, eine allgemein rückläufige Tendenz beim Konsum harter Drogen, aber ein wachsendes Problem mit neuen Substanzen: Das ist die komplexe Lage im EU-Raum. Wobei einige Staaten wie Estland bei den Todesraten weit über dem Schnitt lagen, heißt es im Drogenbericht 2014, den die Europäische Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA) am Dienstag in Lissabon präsentierte.

Obwohl die Zahlen insgesamt eine relativ stabile Situation zeigen, sieht EMCDDA-Direktor Wolfgang Götz "eine besorgniserregende Entwicklung in einzelnen Mitgliedsstaaten", die als scharfer Kontrast zu den allgemein rückgängigen Trends beim Konsum bei Opioiden steht. Ebenso wurde festgestellt, dass der Mischkonsum von Drogen mit all seinen negativen Folgen zur Norm wurde. "Konsumenten wissen oft gar nicht mehr, was sie eigentlich konsumieren", sagte Paul Griffiths, wissenschaftlicher EMCDDA-Leiter.

Österreich liegt über dem Schnitt

6.100 Personen starben im Jahr 2012 im EU-Raum direkt oder indirekt aufgrund ihres Drogenkonsums, nach 6.500 im Jahr 2011 und 7.100 im Jahr 2009. Im Durchschnitt waren das nach den aktuellen Zahlen rund 17 Menschen je eine Million Einwohner zwischen 15 und 64 Jahren. Mehrheitliche Ursache waren Opioide wie Heroin, aber auch synthetische Ersatzstoffe.

Fünf europäische Staaten überstiegen bei den Todesfällen den Wert um das Dreifache: Estland (191 Fälle pro einer Million Einwohner), Norwegen (76), Irland (70), Schweden (63) und Finnland (58). Österreich lag mit 28 Fällen ebenfalls über dem Schnitt. Die hohen Todesfallzahlen infolge von Überdosierung werden in Estland dem Konsum von Fentanylen zugeschrieben, einer Familie sehr starker synthetischer Opioide.

Die Heroinproduktion ist insgesamt rückläufig, doch gibt es in Europa weiterhin rund 1,3 Millionen Personen mit problematischem Opioidkonsum, viele davon "Altkonsumenten" aus den Heroinwellen der 80er- und 90er-Jahre. Die Forscher beobachten dabei eine Ablösung von Heroin durch andere Substanzen, etwa synthetische Opioide. Neben illegal hergestellten Produkten handelt es sich auch um aus medizinischen Quellen abgezweigte Substanzen. Dazu zählen die hochpotenten Fentanyle und bei der Substitutionsbehandlung eingesetzte Substanzen wie Methadon und Buprenorphin. 17 Länder meldeten im Jahr 2012, dass mehr als zehn Prozent der Opioid-Erstpatienten, die eine Spezialbehandlung aufnahmen, andere Opioide als Heroin konsumierten.

Einen weiteren, jedoch leichten Anstieg gab es bei HIV-Neudiagnosen. Im Jahr 2012 wurden 1.788 neue Fälle gemeldet (1.732 im Jahr 2011), was 3,1 Fällen je eine Million Einwohner in der EU sowie Norwegen und der Türkei entspricht. Estland behielt seine hohe Rate mit 54 Fällen bei, währen diese in Lettland weiter von 34 im Jahr 2009 auf 46 im Jahr 2012 stieg.

Neue Substanzen

Ein wachsender Handlungsbedarf in der Drogenproblematik besteht in Zusammenhang mit den neuen psychoaktiven Substanzen (NPS). Inzwischen ist man hier bei 350 verschiedenen Produkten angelangt, 81 Neumeldungen gab es im Jahr 2013, 2014 hatte die EMCDDA bisher Kenntnis von 37 neuen NPS. "Die neuen Substanzen ersetzen immer mehr die herkömmlichen Drogen", bemerkte EMCDDA-Direktor Wolfgang Götz.

Es gebe mehrere Gründe, angefangen vom billigen Preis bis zum Verkauf dieser Drogen als vermeintlich legale Alternativen ("Legal Highs") sowie der Wunsch der Konsumenten nach einem neuen Kick. "Ich stelle fest, dass das europäische Frühwarnsystem, unsere erste Abwehrlinie gegen neue Drogen, durch die weiterhin stark ansteigende Anzahl und Vielfalt der Substanzen zunehmend unter Druck gerät", kommentierte die EU-Kommissarin für Inneres, Cecilia Malmström, die sich zuspitzende Lage.

"Bei den Stimulanzien hat man einerseits das Kokain, wo der Konsum relativ stabil ist. Bei den Amphetaminen und bei den NPS ist die Situation sehr unübersichtlich. Die Leute kaufen sich eine Pille mit Logo und wissen nicht, was dann darin ist. Es werden typischerweise mehrere Mittel konsumiert, drei bis fünf, auch Alkohol", beschrieb EMCDDA-Direktor Götz der APA das problematische Verhalten der Konsumenten. Eine solche Vielzahl an Substanzen finde sich regelmäßig bei Drogentoten.

Globales Thema

Die vielen neuen NPS, immer weitere neue Mittel überschwemmen den Markt, zeugen davon, dass Profis am Werk sind. "Es ist sicher nicht nur ein europäisches Thema, viel wird in China und Indien hergestellt." Vertriebswege per Internet machen es den Konsumenten leicht, an die Substanzen zu kommen, nicht immer würde der Zoll fündig werden. Für die Anbieter geht es darum, den illegalen Markt vorerst zu vermeiden. "Da verkauft man das Produkt dann als Pflanzendünger. Wird es verboten, steht schon das nächste Derivat bereit."

In den Pillen und Pudern sind dann häufig Mischungen, bei denen niemand weiß, was enthalten ist, auch synthetische Cannabinoide sind weiterhin präsent. "Stimulanzien und Cannabis werden beim Konsum wichtiger", sagte der EMCDDA-Direktor. Cannabis blieb wenig überraschend auch die am weitesten verbreitete verbotene Droge. 18,1 Millionen (5,3 Prozent) der Erwachsenen zwischen 15 und 64 Jahren haben im vergangenen Jahr Cannabis konsumiert. 14,6 Millionen (11,2 Prozent) sind es bei den jungen Erwachsenen bis 34 Jahren.

Bei den Stimulanzien blieben Konsum von Kokain (0,9 Prozent Erwachsene, 1,7 Prozent Junge) und Amphetamine (0,4 Prozent Erwachsene, 0,9 Prozent Junge) relativ stabil, in der Verteilung wurde weiterhin ein West-Ost-Gefälle beobachtet. Metamphetamine, einst nur in Tschechien und der Slowakei verbreitet, nehmen in Europa zu: "Es hat angefangen, dass es nach Bayern, Sachsen und Österreich importiert wurde. Inzwischen gibt es in Litauen oder Griechenland ebenfalls Labore. Es ist schwierig zu sagen, wo das hingeht", so Götz. Es sei zwar noch ein kleines, aber ein schnell wachsendes Problem.

"Weniger Drogentote sind zwar positiv", sagte der EMCDDA-Direktor. "Die Selbstmordrate ist unter Heroinabhängigen aber extrem hoch. Vielleicht gibt es noch 20.000 mehr, aber hier ist die Zahl nicht so genau zu ermitteln." (APA, 27.5.2014)