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Trifko Grabez (links), Gavrilo Princip (Mitte) und Nedeljko Cabrinovic, damals allesamt 19 Jahre alt, brachen am 28. Mai 1914 in Belgrad auf, um die Waffen zur Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand nach Sarajevo zu bringen. Alle drei starben im Gefängnis in Terezín an Tuberkulose.

Fotos: Historisches Archiv der Stadt Sarajevo

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Die Festnahme des Attentäters Gavrilo Princip (mit einem X gekennzeichnet) nach dem Anschlag. Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie wurden von dem bosnischen Studenten am 28. Juni 1914 während eines Besuchs in Sarajevo erschossen.

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Adelheid Wölfl (42) arbeitet als Korrespondentin für Südosteuropa für den Standard. Nach eineinhalb Jahren in Zagreb, lebt sie seit November 2013 in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Ihre journalistische Arbeit begann sie 1999 im "Profil". Seit 2004 arbeitete sie im Ressort Außenpolitik des Standard in Wien.

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Youtube/HanyBato: IZVINI FERDINANDE

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Die Isakovica Ada gibt es nicht mehr. Sie verschwand 1956, als in Zvornik ein Wasserwerk gebaut und die Insel überschwemmt wurde, sagen die Leute in Janja. Janja liegt auf der bosnischen Seite der Drina, genau dort, wo Gavrilo Princip und Trifun alias "Trifko" Grabez die Pistolen und Bomben für das Attentat auf Franz Ferdinand über die Grenze schmuggelten.

Die Drina ist auch heute die Grenze zwischen Serbien und Bosnien-Herzegowina. Damals vor hundert Jahren standen hier Karaulen, also Grenzhäuser zwischen Serbien und Österreich-Ungarn. Heute versuchen die Grenzer die Schmuggler mit Patrouillenbooten zu schnappen.

Die Drina ist bei Janja aber nicht nur breit, Sandbänke mit dichtem Baum- und Strauchbewuchs geben auch Sichtschutz. Erst diesen Jänner beschwerten sich bosnische Behörden, dass sich viele Leute Grabsteine über die Drina aus Serbien herüberschmuggeln lassen, offenbar aus Kostengründen. Auch Menschen kommen angeblich immer wieder illegal über die Grenze. Eine Passage soll 30 bis 50 Euro kosten. Nicht zu reden von all dem anderen unverzollten Gut. Vergangenen September versuchten Unbekannte, 50 Schafe auf einem Boot über den Fluss zu schiffen. Die Aktion misslang, weil die Grenzpolizei auftauchte. Die Attentäter vor hundert Jahren waren da erfolgreicher.

Der Anfang

Ihre Reise beginnt am 28. Mai 1914 in Belgrad genau einen Monat vor dem Attentat in Sarajevo. Gavrilo Princip, Trifun Grabez und Nedeljko Cabrinovic fahren mit dem Boot die Donau entlang nach Sabac. Die Route von Serbien nach Bosnien nennen sie "den Kanal". Die Organisation Narodna Odbrana (Nationale Verteidigung) sorgt dafür, dass die Attentäter und Waffen mithilfe von Mittelsmännern durchgeschleust werden. Insgesamt werden die drei Männer acht Tage bis in die bosnische Hauptstadt brauchen. Sie haben sechs Bomben, vier Browning-Pistolen, Munition, 160 Dinar und einen Zettel mit zwei Buchstaben von Milan Ciganovic bei sich, einem Mitarbeiter der serbischen Eisenbahn, der als Informant für die serbische Regierung und die Schwarze Hand arbeitet. Der Zettel ist für Major Rade Popovic in Sabac gedacht, damit dieser für die Studenten einen Passierschein ausstelle. In Sabac bekommen die Reisenden auch von Popovic ein Brieferl mit: "Sieh zu, dass du diese Leute aufnimmst und sie hinüberbringst, du weißt schon. Popovic", steht dort. Die Attentäter werden weitergereicht.

Am 29. Mai fahren sie mit dem Zug nach Loznica. Weil sie einen Passierschein bei sich haben, zahlen sie nur die Hälfte. In Loznica trennen sich ihre Wege. Denn Cabrinovic gilt bei den anderen beiden als "unsicherer Kandidat", der sich und die anderen gefährden kann. Auf einer Postkarte, die er von unterwegs abschickte, schrieb er etwas angeberisch: "Ein gutes Pferd und ein guter Held werden immer ihren Weg finden".

Cabrinovic soll nun also mit Grabezs Pass legal über die Grenze gehen, und zwar bei Zvornik, die beiden andere wollen aber illegal die Drina überqueren und die Waffen schmuggeln. Cabrinovic überlässt den beiden Pistole und Bomben und fährt mit der Post und einem Brief an einen Finanzinspektor in der Tasche nach Mali Zvornik. Dort passiert er mithilfe zweier Grenzbeamter die Drina und fährt weiter nach Tuzla.

Auch für die anderen beiden Attentäter ist alles organisiert: Princip und Grabez werden dem Finanzwachmann Budivoj Grbic aus Lesnica zugeteilt. Sie übernachten in dessen Karaula. Drüben auf der anderen Seite ihrer Schlafstätte liegt die bosnische Stadt Bijeljina, durch die auch heute die wichtigste Verbindungsstraße zwischen den beiden Staaten führt.

Der Gavrilo Princip war auch da?

In Bijeljina ist der Friseursalon von Zorana in der Nähe des Markts nicht nur zum Schneiden und Frisieren da, er ist auch eine Art Newsroom. Die Föhne summen, im Hinterzimmer wird unter Lockenwicklern Kaffee getrunken, manchmal auch Schnaps, vor allem aber wird hier die Welt erklärt. Süleiman Hanusic, der in Baden bei Wien lebt, ist gerade in seiner Heimatstadt. Der Gavrilo Princip war auch da? Hanusic schüttelt den Kopf. "Hätte der Princip nicht den Ferdinand ermordet, wären viele Serben, die im Ersten Weltkrieg gestorben sind, vielleicht noch am Leben", sagt er. Einige Leute im Friseursalon der wunderbaren Zorana verstehen nicht, was Süleimann Hanusic zu so einer Aussage treibt, wo es doch eine "gute Tat von Princip war, das Land von den ausländischen Okkupatoren zu befreien", wie eine Dame meint.

Hanusic versucht zu erklären: Er habe vor zwei Jahren die Kapuzinergruft in Wien besucht. "Aber dort hat mir einer von den Habsburgern gefehlt, und zwar der Ferdinand", sagt er. Er sei also nach Artstetten gefahren, wo der Thronfolger begraben liegt. Das Ergebnis dieser Reise sei auf einem Youtube-Video zu sehen. Auf dem Video hält Hanusic vor dem Sarkophag von Sophie und Franz Ferdinand eine ernste Rede. Im Hintergrund ist ein Lied zu hören, das er selbst komponiert hat. Hanusic ist nämlich Musiker.

"Du bist viel allein, und du schweigst viel, mein Sohn, abgespannt sind die Wege des Geistes. Geh hinaus in den Sommertag!", singt der zarte Herr Hanusic in Artstetten ein Lied für Franz Ferdinand nach einem Text von Ivo Andric. "Ich habe gesehen, dass das Land stark ist und der Himmel ewig, der Mensch aber schwach und kurzlebig." Am Ende des Liedes dreht sich Herr Hanusic dem Sarkophag von Franz Ferdinand zu und richtet dem Ermordeten "im Namen aller Bosnier und Herzegowiner, die ähnlich denken" aus: "Izvini Ferdinande!", auf Deutsch "Entschuldige, Ferdinand!". Und das obwohl natürlich auch Süleiman Hanusic als Kind in der Schule in Bijeljina gelernt hat, dass Österreich ein "Okkupator" gewesen war, genauso wie auch Gavrilo Princip und viele seiner Zeitgenossen dies gesehen haben.

"Moralische Pflicht"

Auf der anderen Seite der Drina spaziert am Morgen des 31. Mai 1914 Gavrilo Princip am Ufer herum. Er übt, mit der Browning-Pistole zu schießen. Princip glaubt, dass die Südslawen von Österreich und den "svabas", also den Deutschsprechenden, befreit werden sollen. Er denkt, dass alles Unglück, das über die Südslawen kam, von Österreich herrührt. "Es war eine moralische Pflicht Serbiens, als des freien Teils der Südslawen, die Südslawen von Österreich zu befreien", wird er später vor Gericht sagen. Alle sollten hier für ein Volk gehalten werden, so wie in Deutschland oder in Italien.

Princip hat in seinem jungen Leben schon einiges hinter sich, als er die Bomben nach Bosnien schmuggelt, und vielleicht fällt es ihm aufgrund seiner Tuberkuloseerkrankung auch leichter, Grenzen zu überschreiten. Auch die anderen Attentäter sind gewohnt, anzuecken. Grabez etwa ist aus dem Gymnasium in Tuzla "relegiert" worden, weil er den Professor Tuhelka geohrfeigt hat. Doch mit ihrem Gedankengut sind die Studenten überhaupt nicht allein. Es gibt Wanderredner, die für Großserbien Werbung machten und Sokol-Vereine. In Serbien ist die Rede von den "unerlösten Brüdern" in Bosnien-Herzegowina. Die Sokol-Vereine und andere Organisationen, die sich Großserbien zum Ziel machten, sind aber in Bosnien seit 1913 verboten.

Der serbische Premier Nikola Pasic hört in diesen Tagen von den Attentatsplänen und gibt Instruktionen, Grabez, Princip und Cabrinovic zu verhaften, bevor sie die Grenze passieren. Doch dies dringt nicht durch. Der Grenzbeamte Grbic lacht, als er die Bomben der Studenten sieht. Er ist ein mächtiger Mann auf der Isakovica Ada. Er kennt die Leute diesseits und jenseits der Grenze, die ihre Geschichten und Geheimnisse haben. Grbic weiß, wie er wen und wann gebrauchen kann. Er kennt etwa die Schmuggler, die hier Tabak über die Grenze bringen. Eigentlich sollte er diesen Schmuggel verhindern, er versteht seinen Job aber offenbar so, dass er den Schmuggel kontrolliert. Und es geht ja nicht nur um Güter, sondern auch um Informationen. Über die Isakovica Ada werden etwa gehei- me Berichte der Schwarzen Hand von Bosnien nach Serbien gebracht. Umschlagplatz ist ein Lokal auf der Insel, wo man auch gut Sliwowitz trinken kann. Dort treffen sich Schmuggler und Grenzwärter.

Tags darauf

Am nächsten Tag, dem 31. Mai, um etwa neun Uhr bringt Grbic die beiden Studenten zu diesem Platz, dem Haus des Milan Cula. Princip wird später diese Reise über die Drina als mystisch bezeichnen. Auf Isakovica Ada warten die beiden auf Mico Micic. Micic war früher Bäcker. Zuletzt saß er aber 21 Tage im Gefängnis, weil er einen Mann mit einer Flasche geschlagen hatte. Micic soll den Schmuggler Jakov Milovic auf die Insel bringen, der die Studenten weiterschleusen soll. Der Bäcker wird später vor Gericht sagen, dass er nur auf die Insel gekommen sei, um den Grbic zu bitten, zum Kolo-Tanz nach Lesnica gehen zu dürfen. Vor Jahren habe er dort mit Mädchen Bekanntschaft gemacht und sei mehrmals nach Lesnica gegangen.

Und dann habe ihn nur der Teufel dazu gebracht, den Milovic auf Aufforderung des Grbic wirklich zu holen und nochmals auf die Insel zu kommen. Er sei eigentlich nur deshalb wiedergekommen, weil er seinen Schnaps austrinken wollte. Micic wird später beim Attentatsprozess übrigens freigesprochen, weil er "nach seinem eigenen Geständnis ein verkrachter Bäcker und Trunkenbold" war und nichts mit der großserbischen Idee zu tun hatte.

An diesem 31. Mai 1914 holt Micic aber den Milovic auf die Insel. Dieser wird vor Gericht aussagen, dass er die Insel oft besuchte, weil ihm dies der Grenzbeamte Grbic gestattet habe. Am 1. Juni in der Nacht bringt Milovic die beiden Studenten dann über die Grenze. Sie waten durch das Drina-Wasser. Auch heute kennt man den Namen Ada Isakovic hier noch, aber die Insel ist jetzt eine Sandbank, die auf der serbischen Seite ans Land angeschlossen und vielleicht zwei Kilometer lang ist.

Hier wie drüben liegen unzählige Holznachen am Ufer. Auch eine Autoseilfähre gibt es. Vor zwei Jahren haben der damalige serbische Premier Ivica Dacic und der bosnische Politiker Bakir Izetbegovic die Fähre erst eröffnet. "Dieser Fluss kann die Menschen nicht trennen", sagte Dacic damals. "Wir sollten nicht vergessen, dass wir einander am nächsten sind, egal welche Art von Geschichte wir haben." Die Grenzen müssten "geschlossen bleiben für Kriminelles, aber offen für das Leben", so Dacic. Heute fehlt das Geld für den Fährbetrieb. Ein legaler Übertritt von einem zum anderen Staat, deren dramatische Geschichte trennt wie auch verknüpft, ist zurzeit nicht möglich.

Transport und Übergabe der Bomben

Am 1. Juni stapfen hier aus der Drina Princip, Grabez und Milovic mit den Bomben um den Bauch in die Nacht hinein. Das Wetter ist schlecht. Nach dem Dorf Cengic, kommen sie nach Trnova, wo sie in einem Stall in den Krippen für die Tiere übernachten, weil es so stark regnet. Am Morgen des 2. Juni 1914 gehen sie zu dem Bauern Obren Milosevic, der ihnen Pferdesäcke gibt, um die Bomben zu verstecken. Er will sie gemeinsam mit Milovic nach Priboj zu dem Lehrer Veljko Cubrilovic bringen, dem Verbindungsmann zur Narodna Odbrana.

In der Nähe von Priboj sehen die Attentäter dann Fußspuren von Gendarmen, sie geraten in Panik und verstecken sich. Derweilen taucht der Lehrer Cubrilovic auf, der von den Bauern erkannt wird. "Zwei Stadtleute warten auf Sie", sagen die Bauern. Sie bekommen fünf Kronen und gehen nach Hause. Cubrilovic, der später zum Tode verurteilt wird, wird in der Gegend bis heute als Held verehrt, eine Volksschule in Priboj trägt seinen Namen. Er führt die Studenten zum Haus des Mitar Kerovic in Tobut. Dort werden sie beherbergt, sie zeigen ihre Waffen, erzählen von ihren Plänen. Einer der beiden sagt mit Pathos: "Bosnien ist das Auge und die Träne Serbiens".

Noch in der Nacht fahren sie mit dem Sohn des Hauses, Nedjo Kerovic im Wagen Richtung Tuzla. Bei Lopare erfasst die beiden Studenten wieder tiefe Angst, sie steigen aus und umgehen den Ort, um nicht an der Gendarmeriekaserne vorbeifahren zu müssen. Hinter Lopare steigen sie wieder zu. Zwei Kilometer vor Tuzla am frühen Morgen des 3. Juni verlassen sie den Wagen und gehen zu Fuß in die Stadt.

Die Bomben werden von Kerovic dem Verbindungsmann Misko Jovanovic in Tuzla übergeben. In Tuzla treffen auch Princip, Grabez und Cabrinovic wieder zusammen, danach fahren sie mit der Bahn nach Sarajevo. Die Waffen bleiben in einer Zuckerschachtel bei Jovanovic. Ein langjähriger Freund von Princip, Danilo Ilic wird sie bei diesem holen. Doch weil die beiden einander nicht kennen, vereinbart man ein Erkennungszeichen. Ilic soll Jovanovic ein Packerl Stefanie-Zigaretten zeigen, sodass Jovanovic sicher sein kann, dass der Ilic auch wirklich der Ilic ist.

Folgenreiche "Unvollkommenheit"

Die Sarajevoer Tabakfabrik wurde 1880 gegründet. Sie gehörte zu den ersten Industrieunternehmen in Bosnien-Herzegowina. Im größten Zigarettenpackerl waren 100 Zigaretten verpackt, im kleinsten fünf. Ab 1888, also zehn Jahre nach Beginn der Okkupation durch Österreich-Ungarn, begann man Zigaretten namens Stefanija zu produzieren. Stephanie von Belgien war die Gattin von Kronprinz Rudolf und damit Kronprinzessin von Österreich-Ungarn. Ein Jahr nachdem die Zigarettenmarke auf den bosnischen Markt gekommen war, war Kronprinz Rudolf tot. Die Ehe war zu diesem Zeitpunkt schon längst kaputt gewesen. Für Franz Ferdinand, den Thronfolger war der Name Stefanija dann in einem anderen Sinn schicksalshaft.

Am 14. Juni kommt Ilic nach Tuzla und hält Jovanovic die Stefanie-Zigaretten unter die Nase. Er bringt die Bomben und Pistolen mit dem Zug nach Sarajevo und versteckt sie bis zum Attentat unter seinem Bett. Jeder der Attentäter erhält zwei Wochen später eine Bombe, einen Revolver, Zyankali und Quantum.

Später übte man dann durchaus Selbstkritik in Österreich-Ungarn, dass man die Attentäter nicht erwischt hatte: "Wenn man die Ereignisse dieser Reise überblickt, so könnte vielleicht die Unvollkommenheit der österreichischen Grenzbewachung auffallen, die es diesen verdächtigen, nicht mit Ausweispapieren versehenen Leuten ermöglichte, samt ihren Waffen unbehelligt über die Grenze zu kommen; diese Unvollkommenheit hatte aber ihren Grund in den großen Terrainschwierigkeiten auf der serbisch-bosnischen Grenze, die zum großen Teile durch Wälder, Moräste und ungeregelte Flussläufe gebildet wurde", heißt es in der Anklageschrift des Sarajevo-Prozesses. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 31. 5. 2014)