Handschriftliche und motorisierte Dokumente der Weltgeschichte: das Cabrio mit dem Thronfolgerpaar wenige Minuten vor dem Attentat, ...

Foto: APA/HEERESGESCHICHTLICHES MUSEUM , WIEN

... das Augenzeuge Franz Graf von Harrach detailliert in einem Brief an seine Ehefrau beschreibt.

Foto: Dorotheum

Korrespondenz Erzherzog Ferdinand Carls (Bruder des Ermordeten) mit seinem Vater.

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Ein Sonntag in Karlsbad, kein beliebiger, sondern der 28. Juni 1914: Gräfin Alice von Harrach, geborene Gräfin Hardegg, weilt hier im Sanatorium Esplanade zur Kur, genießt die obligaten Dampf- und Moorbäder. Etwa 1000 Kilometer entfernt gedenken nationalbewusste Serben an diesem Tag der Schlacht auf dem Amselfeld 1380, auch in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, wo die späteren Attentäter bereits vor drei Wochen eingetroffen sind.

Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie besteigen an der Westgrenze der Stadt Franz Graf von Harrachs Cabrio, im Konvoi mit fünf weiteren Automobilen fährt man Richtung Rathaus, und die Geschichte nimmt ihren schicksalhaften Lauf.

Harrach, der den Thronfolger als Adjutant zum Abschluss der Militärmanöver des k. u. k. XV. (Sarajevo) und XVI. (Ragusa) Korps begleitet, bleibt unverletzt. Spätnachmittags telegrafiert "Frantisek" seiner Ehefrau nach Karlsbad: "bin ganz wohl franz".

Zurück in Wien, die tragischen Minuten vor Augen, verfasst er am 3. Juli einen Brief mit einer detaillierten Schilderung des Attentats, in schonungsloser Offenheit und die legendären letzten Worte Franz Ferdinands zitierend: "... aus seinem Munde spritzte sofort ein dünner Blutstrahl auf meine Backe, er wurde steif mit aufgerissenen Augen und sagte, die Hände auf ihren Schultern Sopherl, Sopherl stirb mir nicht, bleib mir für meine Kinder."

"Blutröcheln begann ..."

Er habe ihn am Kragen gehalten und gefragt "Kaiserliche Hoheit müssen furchtbar leiden?", "oh nein es ist Nichts" antwortete der an der Halsschlagader getroffene, worauf "Blutröcheln begann, das mit einem Blutsturz endete und nach 10. Min. starb er".

100 Jahre später gelangt montags (2. 6. 2014) das laut Experte Andreas Löbbecke bislang unbekannte vierseitige Schriftstück zusammen mit zwei Telegrammen im Zuge der Autografenauktion im Dorotheum zur Versteigerung. Ob es bei dem Rufpreis von 3000 Euro bleibt, ist fraglich, auch ob das Bundesdenkmalamt überhaupt eine Ausfuhrgenehmigung zu erteilen bereit sein wird.

Beim Verkäufer handelt es sich um Harrachs Enkel Nikolaus Dreihann-Holenia, jenen, der vor Jahren die Republik auf Herausgabe des 32 PS starken Doppel-Phaeton Gräf & Stift (Heeresgeschichtliches Museum) seines Großvaters klagte und 2003 schließlich vor dem Obersten Gerichtshof scheiterte. Das aktuell offerierte "Stück Weltgeschichte", will er hingegen künftig im Besitz eines Museum oder eines zeitgeschichtlichen Instituts wissen.

Zu den Interessenten gehört auch das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, wie dessen Direktor Thomas Just im Gespräch mit dem Standard bestätigt, zumal man bereits über einen Teilnachlass des Harrach'schen Familienarchivs verfüge. Es ist jedoch nicht das einzige historische Dokument, das Begehrlichkeiten weckt, weil Bestände ergänzt würden, etwa der Teilnachlass Erzherzog Ferdinand Carls, des Bruders des Attentatopfers, der bislang sowohl offizielle als auch private Korrespondenz umfasst. 1997 war ein erster Teil schenkungsweise übereignet worden, 2009 kaufte man die Briefe an seinen Bruder Erzherzog Otto an.

Verständlich, dass man nun mit der über 20 Jahre geführten Korrespondenz mit seinem Vater Erzherzog Karl Ludwig liebäugelt, eine geschlossene Folge von rund 350 Briefen, für die man zumindest 4000 Euro (netto) bereithalten müssen wird.

Dass derlei überhaupt auf den Markt kommt, ist dem Staatsarchiv bisweilen ein Dorn im Auge. Denn tatsächlich stünden viele Privatarchive geschlossen unter Denkmalschutz, erklärt Thomas Just. Und dann gibt es noch Fälle wie das "Februarpatent": Im Vorfeld der aktuellen Auktion hatte ein Einbringer Andreas Löbbecke ein vor Jahren in einem Antiquariat erworbenes Dokument vorgelegt, das sogleich die Aufmerksamkeit des historisch versierten Experten fesselte: datiert vom 26. Februar 1861, unterzeichnet von Kaiser Franz Joseph und seinen Ministern. Die zentrale Urkunde, die das Verfassungsleben der Habsburgermonarchie bis zu ihrem Ende 1918 prägte, bestätigten schließlich auch die vom Dorotheum hinzugezogenen Mitarbeiter des Staatsarchivs.

Der (rechtmäßige) Besitzer überließ die Urkunde, die den Justizpalastbrand 1927 vermutlich in einem Tresor überstand und von deren Existenz gegenwärtig niemand wusste, in einer noblen Geste dem Staatsarchiv. Kostenfrei.

Die zugehörige Presseaussendung des Staatsarchivs Ende März, in der Generaldirektor Wolfgang Maderthaner für die Situation eher unsensibel eine stärkere Überwachung des Autografenhandels avisierte, sorgte allerdings für etwas Unmut.

Verständlich, denn in dieser Verlautbarung war - konträr zum tatsächlichen Ablauf und der proaktiven, professionellen sowie unbürokratischen Vorgehensweise des Auktionshauses - ausgerechnet von einer "Sicherstellung" die Rede. Nicht nur eine unglückliche, sondern quasi eine Beschlagnahme implizierende und damit falsche Formulierung. (Olga Kronsteiner, Album, DER STANDARD, 31.5./1.6.2014)