Wien - Entrückt haucht die Geige in extremer Lage - als wollte sie sich in lichter Höhe entmaterialisieren. Was folgt, gleicht indes einer Brutalwendung ins Konkrete: Ein mit dem Klavier parallel gesetzter aggressiver Hieb durchritzt die Stille im Duett für Violine und Klavier von Galina Ustwolskaja - und es wird nicht sanfter: Clusterartige Patterns fluten den Raum, und gleichermaßen unerbittlich ist der Umgang mit Zeit.

Als wäre der Stückschluss (gespielt von Geigerin Patricia Kopatchinskaja und Pianist Markus Hinterhäuser, der als Festwochen-Intendant in die Tasten greift) in extreme Zeitlupe gekippt, schiebt sich die Struktur nahe am Stillstand ihrem Ende entgegen.

In Ustwolskajas Welt vermag man die Kantigkeit eines Mussorgski wie auch den giftigen Ausdruck von Schostakowitsch zu entdecken, dessen Schülerin sie war. Wobei Schostakowitsch brieflich Ustwolskajas Einfluss auf ihn bekundete. Die zeitlebens vor allem in St. Petersburg ausharrende Komponistin ist jedoch ein enigmatischer Komet der Moderne, ohne Teil einer Schule zu sein: Ustwolskaja konfrontiert höchste und tiefste Instrumentallagen, wandert gerne entlang der Statik, um selbige im nächsten Augenblick zu pulverisieren. Und hämmernde Rhythmen lösen sich bei ihr gerne in quasi barockem Schreiten einstimmiger Linien auf, Linien, die - wie in der Sonate für Violine und Klavier - in kontrapunktische Zweistimmigkeit übergeführt werden.

Es ist sehr direkte, unbeugsame Musik, die im Konzerthaus beim Ustwolskaja-Schwerpunkt der Wiener Festwochen am ersten Abend zu hören ist. Sie bedarf keiner Schnörkel, erscheint präzise wie asketisch sowohl bei Klangfluten wie auch bei nocturnehaften Gesten - etwa beim Trio für Klarinette, Violine und Klavier: Am Schluss wird ein hämmerndes Klavier in ein zögerliches, nach Tönen suchendes Individuum verwandelt. In der Version des Klangforums Wien unter Peter Rundel ist diese unerbittliche Ästhetik bei der Komposition Nr. 2 Dies irae auch in größerer Besetzung zu hören: Acht Kontrabässe, Percussion und Klavier verweisen dabei auch auf den Hang dieser (quasi Emotionen freisprengenden) Stilistik zu eigenwilliger Instrumentierung.

Auch mit der Hinzufügung von Stimme ändert sich an ihrem Gestus nichts: Bei der Sinfonie Nr. 2 Wahre, ewige Seligkeit muss Sprecher Evert Sooster flehend wie beschwörend seine Statements in Repetitionen durchleiden.

Und: Obwohl es Ustwolskaja (1919-2006) vorschwebte, ihre Stücke vor allem in Kirchenräumen zu hören, scheinen sich diese suggestiven Kompositionen mit ihrer vielgestaltig durchbrochenen Gleichförmigkeit die Räume selbst zu erobern. Der Charme spiritueller Unmittelbarkeit, der ihnen zu eigen ist, war hier jederzeit wirksam. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 2.6.2014)