Micah Lee soll dafür sorgen, dass die Intercept-Journalisten sicher kommunizieren können und ausländische Geheimdienste nicht an die Snowden-Dokumente kommen.

Foto: Micah Lee/Twitter

Als NSA-Whistleblower Edward Snowden einst mit Glenn Greenwald Kontakt aufnahm, hätte dieser beinahe die Chance seines Lebens verpasst. Seine Quelle verlangte zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen von ihm und übermittelte ihm sogar ein kurzes Video, das deren Einrichtung Schritt für Schritt erläuterte. Der Aufwand lohnte sich, Greenwald wurde zu einem der ersten Empfänger tausender Dokumente, mit deren Hilfe die Überwachungsprogramme der NSA und ihrer Partner publik gemacht werden konnten.

Gemeinsam mit den Dokumentarjournalisten Laura Poitras und Jeremy Scahill gründete er vergangenen Oktober First Look Media, gestützt durch Kapital des eBay-Gründers Pierre Omydiar. Das erste Medium des jungen Unternehmens ist The Intercept, das eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung der NSA-Affäre übernahm.

"Digitaler Bodyguard"

Sicher gestellt werden soll dies von Micah Lee, der bei First Look für die IT-Sicherheit zuständig ist und sich selbst als "digitaler Bodyguard" bezeichnet. Seine Aufgabe ist es auch, die Snowden-Dokumente vor fremdem Zugriff zu schützen.

Lee, so schildert Mashable in einem Porträt, blickt auf eine Vergangenheit als politischer Aktivist zurück. An der Boston University setzte er sich gegen den Irak-Krieg ein. Nach einem Jahr verließ er die Hochschule und widmete sich seinem Anliegen Vollzeit. Über Wasser hielt er sich dabei als freiberuflicher Webdesigner, der von seinen selbst erworbenen Kenntnissen zehrte. Als Teenager hatte er sich zuvor auch schon C++ beigebracht, um Spiele zu schreiben.

EFF

2011 stellte ihn die Electronic Frontier Foundation ein, eine Organisation die für digitale Bürgerrechte eintritt. Für Lee war dies ein "Traumjob". Als Technologieexperte vermittelte er Wissen über Computersicherheit und Verschlüsselung an Laien, als technischer Leiter der Freedom of the Press Foundation half er zudem bei der Organisation von Cryptopartys, im deren Rahmen auch Journalisten und Aktivisten geschult wurden.

Im Laufe der Zeit, insbesondere nach den ersten Snowden-Leaks, wurde Lee immer öfter zu einer Anlaufstelle für Reporter, denen bewusst geworden war, dass sie ihre Kommunikation schützen müssten. Gleichzeitig half er Greenwald und Co. auch beim Durchforsten und Verstehen des Materials der NSA. Das Ausmaß der Überwachung überraschte ihn selbst kaum, das Vorliegen von Beweisen bestätigte seinen Verdacht nunmehr.

Per Skript schneller zum Visum

Nachdem er das Angebot von First Look angenommen hatte, wollte er im Januar 2014 umgehend zu Greenwald nach Brasilien fliegen. Da das zuständige Konsulat in San Francisco jedoch keinen freien Termin für die Ausstellung eines Visums anbieten konnte, drohte ihm eine monatelange Wartezeit.

Lee schrieb sich daher ein Skript, das die Seite des Konsulats regelmäßig nach wieder freigewordenen Slots aufgrund von Absagen durchforstete. Binnen 48 Stunden hatte er die notwendige Aufenthaltsbewilligung.

Maßnahmen

Bei Greenwald angekommen, setzte er sofort eine Reihe von Maßnahmen um. Aus Angst vor einem digitalen Einbruch durch US-Behörden ersetzte er die Windows 8-Software auf Greenwalds PC mit einem Linux-System, installierte eine Firewall, verschlüsselte die Festplatte und richtete weitere Programme ein, die für mehr Sicherheit sorgen sollten. Greenwald selbst hatte die Dokumente klugerweise auf einem Rechner ohne Internetzugang aufbewahrt.

Sicherer Dateiaustausch

Bei First Look ist die Verwendung von PGP-Verschlüsselung für E-Mails und Messaging über das OTR-Protokoll mittlerweile Standard. Außerdem setzt man auf die Linux-Distribution Tails, von Haus aus eine Reihe von Bordmitteln für Anonymisierung und Verschlüsselung mitbringt.

Greift ein Mitarbeiter auf die Snowden-Leaks zu, so begibt er sich zum Offline-Rechner, brennt die Daten verschlüsselt auf eine CD und verschickt sie dann vom eigenen Computer aus per E-Mail an den jeweiligen Empfänger – natürlich ebenfalls verschlüsselt. Dieser brennt die Daten wiederum selber auf eine CD und entschlüsselt sie erst auf seinem eigenen PC ohne Internetverbindung.

Eigene Mailserver

Während andere Unternehmen auf externe E-Mail-Anbieter setzen, betreibt First Look seine Mailserver selbst. Auf diese Weise will man verhindern, dass US-Behörden über Dritte an sensible Kommunikation herankommen.

Denn dies ist bereits passiert, etwa als das Justizministerium plötzlich im Besitz von E-Mails des New York Times-Journalisten James Risen war, der die US-Regierung heute als eine der "größten Feinde der Pressefreiheit" bezeichnet.

Risen hatte in einem Buch unter anderem über eine CIA-Operation zur Sabotage des iranischen Atomprogramms berichtet, die während der Amtszeit von Bill Clinton durchgeführt worden war. Das Ministerium hatte sich auch im Geheimen Zugriff auf Telefonaufzeichnungen der Nachrichtenagentur Associated Press und die E-Mails des Fox News-Reporters James Rosen verschafft.

Attraktives Material

Lee sieht auch Gefahren darüber hinaus. Während die NSA die geleakten Dokumente selbst kennt, könnten sie sich für ausländische Geheimdienste – Stichwort: China und Russland - als besonders wertvoll erweisen.

Warten auf den nächsten Snowden

Mit der Etablierung hoher Sicherheitsstandards will Micah Lee bei First Look aber nicht nur den eigenen Journalisten helfen. Die Möglichkeit, Quellen gegenüber Behörden umfassend zu schützen sollen The Intercept attraktiv als Anlaufstelle für den nächsten Snowden machen, für den nächsten Whistleblower, der brisante Geheimnisse Regierungen oder Unternehmen ans Licht bringen möchte. (red, derStandard.at, 02.06.2014)