15 Meter Morgen- im Abendland: In Telfs steht seit 2006 ein Minarett. Durch Proteste dagegen wurde die Gemeinde bundesweit bekannt, inzwischen gilt sie als Beispiel gelungener Integration.

Foto: stefanie ledolter

Telfs - Das Mittagsgebet ist gerade vorbei. Dutzende Männer mittleren Alters strömen aus einer Glastür mit grünem Aufkleber. "Moschee" ist darauf zu lesen. Die Männer tragen dunkle, festliche Kleidung, unterhalten sich lautstark auf Türkisch. Wo ist Yusuf Citak? Jeder zeigt in eine andere Richtung. Noch in der Moschee? Darf man da einfach reinstürmen? Als Frau? Jemand winkt. Citak wartet doch bereits nebenan in den Räumlichkeiten des türkisch-islamischen Kulturvereins Atib.

Jeder ist wollkommen

Mit dem Obmann Citak sitzen der Imam und Kadir Özdemir am Tisch. Drei freundliche Männer, Citak und Özemir sprechen deutsch, für den Imam wird übersetzt. Was sie vehement wiederholen und vermitteln wollen: Jeder ist willkommen bei ihnen. Egal, welcher Herkunft oder Religion und natürlich auch welchen Geschlechts. Besucher sind zu Essen und Kaffee eingeladen. Auch zu einer Besichtigung der Moschee. Die überschwängliche Gastfreundschaft straft die intuitiven Gedanken mit Schamgefühl.

Die Männer haben Erfahrung mit Ressentiments. Als im Jahr 2005 aufkam, dass in Telfs ein Minarett errichtet werden soll, wurde die Tiroler Gemeinde bundesweit zum Symbol aufeinanderprallender Kulturen, die einfach nicht zusammenzupassen schienten. Was man heute in den Gassen von Telfs hört: Die Aufregung war ziemlich umsonst. Der schlussendlich nur 15 statt 20 Meter hohe Turm fällt im Stadtbild kaum auf. Er wird nicht für Rufe zum Gebet, sondern als Lager genutzt.

Berührungsängste

"An diesem Beispiel kann man sehen, dass das größte Problem doch nur Berührungsängste sind", sagt Citak. Der Verein Atib arbeitet mit der Gemeinde, ortsansässigen Vereinen und auch der katholischen Kirche zusammen - mal besser, mal schlechter. Doch es scheint, aufgrund vielfacher schlechter Presse wird bei Atib über negative Erfahrungen lieber erst gar nicht mehr gesprochen.

Bei der letzten Nationalratswahl waren die Freiheitlichen in der ehemals schwarzen Hochburg Telfs die stärkste Kraft. Um zu verstehen, wie die FPÖ an diesem Ort des offenbar intakten interkulturellen Zusammenlebens so stark sein kann, muss man ins Wirtshaus gehen. Zwei Männer sitzen an der Bar. "Telfs ist tiefblau", sagt einer. "In jeder Hinsicht", führt der andere aus und zeigt grinsend auf sein Bierglas. Als Tiroler schaue man halt weg - wovon konkret, will er nicht sagen.

Einen nüchternen Blick auf die Entwicklung der Gemeinde hat der junge Telfer Bürgermeister Christian Härting von der liberal-konservativen Partei Wir für Telfs. Es würden sich zwar alle Seiten bemühen, aber: "Es lässt sich nicht abstreiten, dass es mehr ein Nebeneinander als ein Miteinander ist", sagt er.

Die Marktgemeinde hat rund 15.000 Einwohner aus 78 verschiedenen Herkunftsländern. Jeder fünfte Telfer und jeder vierte Jugendliche ist türkischstämmig. Spricht man mit jungen Leuten, verlaufen die kulturellen Grenzen wesentlich fließender. Ferdinand und Tarek sind gerade auf dem Weg zur Arbeit. Beide schimpfen auf jeweils "ihre Leute", dass sich die einen dem Neuen verschließen und die anderen nicht ordentlich Deutsch lernen würden. Die Gemeinde und Vereine könnten da gar nichts tun, glauben beide, es müsse jeder bei sich anfangen. In ihrem Freundeskreis spiele Herkunft kaum eine Rolle.

Gespalten in zwei Lager

Bei der EU-Wahl war Telfs dann einer von drei Orten Tirols, in denen die Grünen stimmstärkste Partei wurden - sie konnten die Blauen um fast drei Prozentpunkte überholen. Eine junge Mutter auf dem Weg zum Spielplatz wundert das nicht: Sie und ihre Bekannten würden alle grün wählen - auch als Ausdruck dessen, bewusst in einer "Multikultigemeinde" zu leben. Die Wahlergebnisse sind Spiegelbild dessen, was man auf der Straße erlebt: Telfs ist in zwei politische Lager gespalten - aber auch in zwei Generationen.

Am Haus neben der Moschee ist ein großes Holzkreuz angebracht. Fast mahnend zeigt es gen Minarett. Aus den Räumlichkeiten des Vereins Atib ist es nicht zu sehen, doch spürbar. Mit der freiwilligen Feuerwehr habe man Probleme gehabt, weil sie "als christlich orientierter Verein" keine Migranten aufnehmen wollte. Mit Güven Tekan hat Telfs zwar den einzigen türkischstämmigen ÖVP-Gemeindevorstand, der musste sich den Sitz allerdings durch einen intensiven Vorzugsstimmenwahlkampf erobern. Sein Großvater war 1968 der erste türkische Gastarbeiter, Tekan fühle sich voll und ganz als Tiroler. Wenn der ältere Citak über "die Einheimischen" spricht, meint er Güven Tekan damit noch nicht. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 3.6.2014)