Massiv, blockhaft und dennoch in Bewegung: "Gehender" (1951) von Fritz Wotruba.

Foto: H. Eisenberger

Wien - Für die Bildhauer der Renaissance schienen die Götter und Helden regelrecht in den massiven Steinblöcken zu schlummern, mussten nur noch daraus hervorgekitzelt werden. Das Sich-Abarbeiten an der Figur war ein Abarbeiten an menschlichen Daseinsfragen. Ein Thema, das der (Stein-)Bildhauerei bis ins 20. Jahrhundert blieb. Aber selbst Existenzielles wollte irgendwann jenseits des Körpers verhandelt werden. Abstraktere Ideen suchten dreidimensionale Gestalt. Alltägliches wurde zum künstlerischen Material. Aus Skulptur wurde Plastik - und Interaktion.

Die klassische Steinbildhauerei verschwand sogar allmählich aus den Kunstakademien; erst in jüngster Zeit erinnert man sich ihrer als fast vergessener Technik und lehrt das fast Verlorene wieder. Ist die Faszination der Alten Meister, von Caravaggio bis Velázquez, für die Zeitgenossen vor der Leinwand ungebrochen, so scheinen die klassischen Bildhauer, ein Giambologna oder ein Rodin, für die jungen Künstler wenig bereitzuhalten. - Und falls doch, so ignoriert das gegenwärtige Ausstellungsgeschehen diese Auseinandersetzungen.

Wotrubas Michelangelo

So könnte man sich zumindest erklären, warum die Wotruba-Stiftung, die 2011 im 21er-Haus ihr Zuhause fand, so ein Orchideendasein führt. Vermag sich Fritz Wotruba, zweifelsfrei einer der wesentlichsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts in Österreich - oder in Mitteleuropa -, den Jungen zu erklären? Spricht er zu uns?

Ein Jammer also, dass auch die aktuelle Ausstellung durch und durch rückwärtsgewandt ist: Hommage à Michelangelo. Zeichnungen und Steine. Freilich, eine kunsthistorische Position kann nicht zugleich zeitgenössisch sein. Aber müssten nicht zumindest die Fragen, die sich die Institutionen stellen, zum Brückenschlag ins Hier und Jetzt eignen?

Im Zentrum der Einraumpräsentation (quasi die Essenz der bereits 2007 in München gezeigten Schau) stehen Wotrubas Zeichnungen, ein Medium, das bei ihm, wie bei vielen anderen auch, als Denkinstrument diente und Formfragen vorantrieb. 65 Blätter, ein gutes Dutzend pro Werkphase, die das stetige Dekonstruieren seiner schweren Figuren nachvollziehbar machen. Dazu der titelgebende Zyklus, in dem Wotruba 1975 (anlässlich des 500. Geburtstags Michelangelos) dem Meister des Infinito huldigte. Aus einem Blatt wurde ein Druck. Aus welchem, verrät man nicht. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 5.6.2014)